Die Seele Chinas - Chinaseiten
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gekommen, daß jemand, um sich an einem Feind zu rächen, einige Schrauben von den<br />
Bahnschienen entfernt hatte innerhalb der Strecke, für die sein Feind als Dorfvorsteher<br />
verantwortlich war. <strong>Die</strong> Sache wurde gemeldet, und der deutsche Hauptmann verlangte<br />
strengste Bestrafung des Schuldigen. Der Mandarin untersuchte den Fall. Da die<br />
Schrauben nirgends gefunden wurden, so war nichts sicheres herauszubekommen. <strong>Die</strong><br />
Sache zog sich in die Länge, und immer dringender wurden die Mahnungen des Hauptmanns.<br />
Schließlich kam man auf einen Ausweg. Im Gefängnis war ein armer Schlucker,<br />
der beim Hühnerdiebstahl betroffen war. Der nahm die Schuld auf sich, als er erfuhr,<br />
daß man bereit sei, seiner alten Mutter, für die er die Hühner zur Nahrung gestohlen<br />
hatte, eine für seine Verhältnisse sehr beträchtliche Unterstützung zu bezahlen. Es<br />
wurde also ein Protokoll aufgenommen. Der <strong>Die</strong>b, der glücklich war, durch sein<br />
Geständnis seiner alten Mutter aus der Not zu helfen, legte ein detailliertes Geständnis<br />
ab und bekannte auch, daß er die Schrauben an einer Stelle ins Wasser geworfen habe,<br />
die so tief sei, daß man sie nicht wiederfinden könne. Das Protokoll wurde dem<br />
Hauptmann zur Kenntnis gegeben. Der <strong>Die</strong>b wurde sofort hingerichtet. Als später der<br />
Hauptmann den Mann noch einmal vernehmen lassen wollte, da war es schon zu spät.<br />
Derartige Fälle sind in jener Zeit nach den Boxerwirren mehr als einmal vorgekommen,<br />
und die europäischen Mächte befanden sich oft in peinlicher Aufregung darüber, ob<br />
wirklich auch immer die richtigen Leute hingerichtet wurden. Heute erscheint es fast<br />
spukhaft unwirklich, daß solche Dinge möglich waren. Aber wenn man nicht diese<br />
dunklen Hintergründe in Betracht zieht, so versteht man nicht die einmütige Weigerung<br />
<strong>Chinas</strong>, sich von den Fremden weiter knechten zu lassen.<br />
<strong>Die</strong> deutschen Soldaten hatten ursprünglich in der Stadt selbst in den alten Prüfungshallen<br />
gewohnt. Als die Baracken auf dem Altstadthügel fertig waren, wurde in den Prüfungshallen<br />
eine Mittelschule errichtet, mit deren Leitung ich beauftragt wurde. <strong>Die</strong><br />
Schule wurde noch nach dem Übergangssystem betrieben: westlicher Unterricht, d. h.<br />
deutsche Sprache und Realien am Vormittag, Unterricht in den chinesischen Fächern<br />
am Nachmittag. <strong>Die</strong> Schule war öffentlich. <strong>Die</strong> Schüler erhielten freie Kost und<br />
Wohnung. Dort sah ich auch zum erstenmal die feierliche Verehrung des Konfuzius, wie<br />
sie in jenen Zeiten in China üblich war. An der Nordwand wird eine Holztafel mit der<br />
Tempelbezeichnung des Konfuzius aufgestellt. Davor stehen rechts und links zwei<br />
Leuchter und zwei Vasen, in der Mitte ein Räuchergefäß, in dessen weiße Asche<br />
glimmende Weihrauchstäbchen gesteckt werden. Nachdem ich nach westlichem Brauch<br />
meiner Verehrung für den Meister durch eine dreimalige Verbeugung Ausdruck gegeben<br />
hatte, trat der Zeremonienmeister vor, der erst die Litanei sprach, dann die Zeremonie<br />
leitete. Dreimal knien Lehrer und Schüler auf viereckigen Kissen nieder, und jedesmal<br />
berühren sie mit der Stirn die Erde. Dann ist diese Zeremonie beendet, und die feierliche<br />
Begrüßung der Lehrer durch die Schüler folgt nach. <strong>Die</strong> Lehrer haben durch ihre<br />
Verehrung für den großen Meister die Würde erlangt, die ihnen das Anrecht auf die<br />
Ehrung durch die Schüler gibt. Ein merkwürdiger Zug bei diesen Vorgängen ist, daß,<br />
wenn der Schüler vor dem Mann, den er als Lehrer ehren will, seine Ehrenbezeugung<br />
macht, der Lehrer mit derselben Ehrenbezeugung erwidert. Alles ist auf Gegenseitigkeit<br />
aufgebaut, keine sklavische Proskynese gibt es, sondern nur freie gegenseitige<br />
Achtung. Ich habe diese alte chinesische Sitte, die das Schulleben auf die Grundlage<br />
der Ehrfurcht als der fruchtbarsten menschlichen <strong>Seele</strong>nregung stellt, immer schön und<br />
eindrucksvoll gefunden. Es wird bei dieser Ehrung nicht die zufällige Person des<br />
Anwesenden übermäßig emporgehoben, sondern es wird letzten Endes das Geistige<br />
geehrt in dem, was über uns, und in dem, was unter uns ist, und die Schüler, die durch<br />
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