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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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wurde bitterböse, als einer ihn fragte, wieviele Geisterlampen er vor seinem Tor aufgehängt<br />

habe.<br />

Ein früherer Minister des Kultus war in unserer Mitte, der sich durch seinen Humor auszeichnete.<br />

Auf der Grundlage eines tiefen Ernstes gab er sich wilder Ausgelassenheit<br />

hin. Er gehörte zu den verborgenen Heiligen. Solche Leute kommen in China in Wendezeiten,<br />

wenn ein Herrscherhaus gestürzt ist, vor. Man findet dann unter den Mönchen<br />

der Bergklöster frühere Prinzen und Hofbeamte, man findet unter Bettlern, ja Räubern<br />

Verzweifelte, die früher in der Armee als Offiziere standen, man findet als stille Gelehrte<br />

in dürftiger Hütte hohe Minister, man findet sie als ruhelos Wandernde, man findet sie<br />

als wilde Dichter oder Maler, die ihr Leid im Wein hinunterspülen. Man findet sie unter<br />

skurrilen Spaßmachern und Lebemännern, die ein Leben bewußt vergeuden, das<br />

seinen Sinn verloren hat. Zu diesen gehörte auch der Minister unserer Gesellschaft.<br />

Immer hatte er Witze bei der Hand, und im Trinken führte er unbedingt. Selten kam eine<br />

Zusammenkunft vor, an der er Anteil hatte, bei der nicht ein oder mehrere Opfer seiner<br />

Ermunterung erlagen. Er aber wurde immer lustiger und wilder. Er war berühmt wegen<br />

seiner schönen Handschrift. In ganz Peking kann man noch bunte Firmenschilder<br />

sehen, die er gemalt hat. Als Lohn nahm er kein Geld, sondern nur ein köstliches Mahl<br />

mit einer Sängerin. Noch als er fast erblindet war, schrieb er seine großen, zugvollen<br />

Gedichte auf Papierstreifen. Es gab viele Fälscher, die sich seines Namens bedienten,<br />

um ihre kümmerlichen Elaborate an den Mann zu bringen. Im äußersten Norden von<br />

China begegnete ich z. B. in einer Herberge solchen gefälschten Inschriften. Aber er<br />

lachte nur darüber, wenn er es hörte und sagte: »Wer mich kennt, wird nicht betrogen,<br />

und die anderen sind nichts Besseres wert.« Ich traf ihn einmal in ernster Stimmung. Es<br />

war, als die Japaner mit ihren 21 Forderungen während des Krieges den letzten Rest<br />

der Freiheit <strong>Chinas</strong> zu rauben schienen. Er brach in Tränen aus und weinte wie ein<br />

Kind. Ich suchte ihn zu trösten. Er aber wollte von nichts wissen: »Unsere Schuld ist es,<br />

daß es soweit gekommen ist, uns war es nicht gegeben, das Kaiserhaus zu schützen.<br />

Nun werfe ich mein Leben weg; denn es ist nichts mehr wert.« Als der Abend kam, da<br />

trank er heftig wie noch nie, und dröhnendes Lachen erfüllte die Halle, bis die letzte<br />

Kerze erlosch und die Gäste betrunken nach Hause schwankten.<br />

Im Winter ist eine besondere Zeit der Geselligkeit in China. Man tut sich zusammen.<br />

Man plaudert, spielt Schach, betrachtet alte Bilder und Handschriften. Auch macht man<br />

wohl um die Wette improvisierte Gedichte. Man nennt diese Gesellschaften:<br />

»Versammlungen, um die Kälte zu schmelzen«. Sie dauern von der<br />

Wintersonnenwende bis zur Frühlingstagundnachtgleiche. Man kommt an jedem<br />

neunten Tag zusammen zum Mahl. Über ein solches Gastmahl finde ich in meinem<br />

Tagebuch folgende Notizen:<br />

Wir waren zu acht, die Zahl der Unsterblichen in China. Es waren außer mir da: ein früherer<br />

Finanzminister und dessen Bruder, ein Arsenaldirektor (es war der<br />

Obengenannte), ein taoistischer Abt, ein Geomant, ein Kaufmann und ein Student. Der<br />

Abt ist schon über siebenzig Jahre alt und hat vier Generationen von Schülern in seinem<br />

Kloster T'aits'ingkung - einem sagenumwobenen Kloster am Abfall der Laoschanberge<br />

in das Meer - um sich versammelt. Dabei ist er noch frisch und rüstig und lebhaft im<br />

Geist. Sie leben einfach und streng vegetarisch im Kloster. Der Tag ist ausgefüllt mit<br />

Gottesdiensten und Lesen der heiligen Schriften. Außerdem spielt er auch das K'in, die<br />

alte chinesische Zither, mit ihren heimlich verschwebenden Zaubertönen. Als Abt hat er<br />

manchen Verkehr mit Besuchern des Klosters, Chinesen und Europäern. Er erzählte<br />

sehr drollig, wie kürzlich ein weitherziger englischer Missionar bei ihm gewesen sei, mit<br />

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