Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Achtes Kapitel<br />
Vom heiligen Berg<br />
Nicht weit von dem Geburtsort des Konfuzius entfernt ist der heilige Berg Taischan, der<br />
chinesische Olymp. Aus den ältesten Zeiten der chinesischen Geschichte ragt er auf,<br />
inmitten eines umfangreichen Gebirgsmassivs der höchste Gipfel. Er legt sich in breit<br />
majestätischer Ruhe in die Gegend, an seinem Fuß treffen sich die Wasseradern von<br />
verschiedenen Richtungen. Um seinen Gipfel brauen die Wolken. Weithin spendet er<br />
Regen und Sonnenschein. Denn wenn sein Haupt sich mit Wolken bedeckt, die über<br />
ihm brüten, wenn er immer mehr Nebel an sich zieht und die feuchten Winde die Wolken<br />
in Spalten und Höhlen treiben, so kommt Regen übers Land. Wenn er die Dünste wieder<br />
entläßt, in zarten Flöckchen sie ausatmend, daß sie leise und schwebend sich von den<br />
Spitzen lösen und im Blau verschwinden, dann weiß man im Volk: nun sind die trüben<br />
Tage vorüber. <strong>Die</strong> Sonne kommt wieder über die Felder und des Nachts vom<br />
schwarzen, tiefen Himmel her die großen, flackernden Sterne.<br />
Seit uralten Zeiten wurde dies geheimnisvolle Brauen beobachtet, und so kam es, daß<br />
der Geist dieses Berges heilig gehalten wurde, und Fürsten und Könige von weitem herkamen,<br />
um am Fuße des Gebirges ihre Opfer darzubringen. Das Lebenweckende dieser<br />
Vorgänge, das geheimnisvoll Offenbare dieser Mächte hat seit uralten Zeiten die Menschen<br />
angezogen. So stehen denn an allen Orten in China Tempel, in denen der Geist<br />
des mächtigen Gipfels verehrt wird als Hüter des Lebens und des Todes. In jenen Tempeln<br />
ist für den Volksglauben der Zugang zur Unterwelt. In Peking z. B. steht vor dem<br />
Osttor ein Tempel des Taischan, in dem namentlich zur Neujahrszeit Tag für Tag die<br />
Opferflammen brennen und Weihrauchwolken zum Himmel steigen. In großen Höfen<br />
sind die verschiedenen Gebiete der Unterwelt mit ihren Herrschern dargestellt, Gebiete<br />
der Qualen, Flammen, Messer, Eiszonen. <strong>Die</strong> Wanderung ins Jenseits tritt in grausigen<br />
Bildern vors Auge. Hinüber über den traurigen Fluß der Unterwelt geht der Weg, in dessen<br />
trüben Fluten die Unglücklichen bald auf-, bald untertauchen, die durch ihre Taten<br />
sich nicht den Weg über die Brücke geöffnet haben. Der Weg führt weiter durch das<br />
Dorf der bösen Hunde, für die man den Toten Brot mitgibt, auf den Vorsprung, wo die<br />
armen <strong>Seele</strong>n noch einmal zurückblicken können in die alte Heimat, die sie verlassen<br />
mußten.<br />
In jenen Gebieten ist dann auch das große Rad, in das die <strong>Seele</strong>n, nachdem sie ihre<br />
Strafen abgebüßt und das Wasser der Vergessenheit getrunken haben, hineingetrieben<br />
werden zu neuem Werden und neuer Geburt auf einem der verschiedenen Pfade vom<br />
glücklichen Menschen bis herunter zum Insekt.<br />
So werden denn Geburt und Tod dem Geist des östlichen Gipfels, wie der Taischan<br />
auch heißt, feierlich unter Opfern angezeigt. Es sind das Reste der uralten chinesischen<br />
Naturreligion, die unter mancherlei Fortbildungen und Abweichungen sich bis heute<br />
erhalten haben.<br />
Am Fuß des Berges liegt die Stadt T'aianfu, ein Landstädtchen, das seine ganze<br />
Bedeutung der Nachbarschaft des Berges verdankt. Hier steht der große und heilige<br />
Tempel Tai Miao, welcher der Gottheit des Berges geweiht ist. Ein mystisches Geheim-<br />
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