Die Seele Chinas - Chinaseiten
Die Seele Chinas - Chinaseiten
Die Seele Chinas - Chinaseiten
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
mußte nun doch die Regierung sich für alles verantwortlich halten. Statt daß man<br />
gemeinsam mit China Maßregeln beraten hätte, die eine Rückkehr ähnlicher<br />
Konvulsionen verhüteten, statt daß man daran gegangen wäre, eine Erschließung der<br />
ungeahnten Hilfsquellen <strong>Chinas</strong> durch sachgemäße Untersuchung zu ermöglichen,<br />
wobei alle Teile auf ihre Rechnung gekommen wären, begann zunächst ein widerliches<br />
Feilschen um die Köpfe von Großwürdenträgern und Prinzen, die man als Sühnopfer<br />
brauchte, wobei denn die groteske Situation sich ergab, daß man oft sogar die falschen<br />
Köpfe begehrte, Köpfe von Leuten, die sich für Schutz der Fremden und Mäßigung<br />
eingesetzt hatten: so schlecht war man informiert. Ungeheure Entschädigungen mußten<br />
bezahlt werden, die zu ihrer Amortisation phantastische Zeiträume brauchten und auf<br />
unabsehbare Zeit das große Reich unter die Finanzkontrolle der siegreichen Mächte<br />
stellten. Ein kaiserlicher Prinz mußte persönlich nach Europa kommen, um sich wegen<br />
der Ermordung des deutschen Gesandten zu entschuldigen. Ein Ehrentor mußte in der<br />
großen Hatamenstraße errichtet werden, auf dem in chinesischer und lateinischer<br />
Schrift der Frevel an dem deutschen Gesandten und seine Sühne verzeichnet stand -<br />
zum ewigen Andenken.<br />
An der englischen Gesandtschaft aber ließ man ein Stück der von Kugeln<br />
durchlöcherten Mauer unberührt stehen und schrieb daran: »Lest we forget !« <strong>Die</strong>se<br />
Worte sind jedoch längst verblaßt, und die Mauer ist mit Moos überzogen. Der Weltkrieg<br />
hat andere Feinde geschaffen, und man ließ nicht nach, bis man China in diesen Krieg<br />
der Zivilisation gegen die deutschen Barbaren hineingezogen hatte. Bei der<br />
Friedensfeier versuchten betrunkene französische Soldaten den Kettelerbogen<br />
umzureißen, was ihnen jedoch mißlang. <strong>Die</strong> chinesische Regierung hat ihn dann an sich<br />
genommen. Heute steht er am Eingang des Zentralparks, in dem sich die Jugend<br />
Pekings amüsiert, und trägt wieder eine lateinische und eine chinesische Inschrift:<br />
»Dem Sieg des Rechts«. Man fragt sich im Grunde vergebens, was mit dem Recht<br />
gemeint ist, das gesiegt hat. Ist es der Gesandtenmord, der nun nachträglich unter allgemeiner<br />
Zustimmung der Alliierten sanktioniert werden soll? Oder sind es die Versprechungen,<br />
die man China beim Eintritt in den Krieg gemacht hat und die man bis auf den<br />
heutigen Tag nicht zu erfüllen gewillt ist? In Wirklichkeit wäre es im eigentlichen Interesse<br />
<strong>Chinas</strong>, wenn man diese volltönende Inschrift, die von den Tatsachen längst überholt<br />
ist, in aller Stille entfernen würde. Aber wie dem auch sei, auch diese Inschrift wird<br />
nicht ewig dauern.<br />
Jene Zeit hatte auch in Schantung kleinere Störungen im Gefolge. Der Bau der Bahn<br />
von Tsingtau nach Tsinanfu war begonnen worden. Allein verschiedene Umstände<br />
wirkten mit, den Bahnbau in der chinesischen Bevölkerung sehr unbeliebt zu machen.<br />
Zum Teil herrschte noch der Aberglaube, der eine Störung der Ahnengeister fürchtete,<br />
zum Teil hatte man - wie sich später herausstellte - sehr berechtigte Befürchtungen, daß<br />
die Überschwemmungsgefahr für gewisse tiefliegende Landstriche durch den<br />
Bahndamm vermehrt werde, zum Teil gab es Mißverständnisse zwischen<br />
Bahnangestellten und Bevölkerung.<br />
Kurz, es kam zu Störungen des Bahnbaus, in deren Folge eine militärische Expedition<br />
ins Hinterland Tsingtaus nach Kaumi ausgerüstet wurde.<br />
Hier kam es nun zu äußerst bedauerlichen Konflikten zwischen europäischer und asiatischer<br />
Denkweise. Als die deutschen Truppen anrückten, schlossen die Dörfer ihre Tore<br />
zu und begannen mit ihren vorsintflutlichen Kanonen in die Luft zu schießen, wie sie das<br />
gewohnt waren, wenn Räuber um den Weg waren. Wie erstaunten sie jedoch, als die<br />
deutsche Artillerie sich davon nicht erschrecken ließ, sondern wiederschoß, und mit<br />
19