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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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Bodhisatva, der mit dem Schwert der Erkenntnis die Nacht der Unwissenheit zerteilt und<br />

der ein Vorkämpfer aller derer ist, die aus Finsternis dem Licht entgegenstreben.<br />

Einmal brachte er zu einem Besuch auch seine Flöte mit. Er ließ sich von mir einige<br />

europäische Sachen auf der Geige vorspielen. Ich suchte ihm den Geist der europäischen<br />

Musik in ihren höchsten Zielen klar zu machen. Damit war er sehr einverstanden.<br />

Er sagte, das sei auch der Sinn der eigentlichen hohen chinesischen Musik. Nun setzte<br />

er sich in eine Ecke und spielte auf der Flöte die Melodie, die seit uralten Zeiten am<br />

Ackerbautempel in Peking gespielt wird, wenn der Kaiser im Frühling mit eigener Hand<br />

den Pflug führt und die ersten Furchen zieht. Der Abend dunkelte. Innere Bilder traten<br />

hervor, und kosmische große Stimmungen zogen mit den ernsten und einfachen Flötentönen<br />

aus fernen Welten herüber. <strong>Die</strong>se Melodie wird wahrscheinlich vergessen werden;<br />

denn wer kümmert sich heute noch darum? Aber es bleibt eine wertvolle Erinnerung,<br />

noch einen letzten Blick in diese Welten getan zu haben.<br />

Zuweilen erzählte er von den Bildern früherer Herrscher, die er im Kaiserpalast zu sehen<br />

Gelegenheit gehabt. Wie etwa der letzte Mingkaiser, der sich in den Wirren der Revolution<br />

und Invasion im Jahre 1642 aus Verzweiflung mit seinem getreuen Eunuchen an<br />

einer alten Zypresse auf dem Kohlenhügel erhängte, eigentlich Christ gewesen sei. Er<br />

selbst habe ein Bild von ihm gesehen, wie er vor dem Kreuze kniete. Oder traten die<br />

großen Herrscher des eigenen Geschlechts bildhaft aus seiner Erinnerung hervor, der<br />

große, hagere Kanghsi mit seinem dünnen, spitzen Kinnbart und seinen durchdringend<br />

scharfen Augen, der fette und prächtige Kienlung oder dessen Vorgänger Yungtschong,<br />

der in schimmernder Wehr sich abbilden ließ und unter seinem blinkenden Helm einen<br />

seltsam aufgezwirbelten Schnurrbart trug, der dem Prinzen eine innere Verwandtschaft<br />

dieses Herrschers mit Kaiser Wilhelm II. nahelegte. Von Kaiser Wilhelm war er immer<br />

ein großer Verehrer und war beglückt, als er einst ein eigenhändig unterschriebenes Bild<br />

als Antwort auf sein mandschurisches Sympathieschreiben aus Doorn zugesandt<br />

bekam.<br />

Manchmal, aber selten, kam er auch auf die Kaiserin-Witwe zu sprechen. Man merkte<br />

seinen Reden den an Furcht grenzenden Respekt an, den sie in ihrer Umgebung zu<br />

verbreiten wußte. Er erzählte von ihrer ungeheuren Leistungsfähigkeit, die es ihr ermöglichte,<br />

bis in ihr hohes Alter die Audienzen, in denen die wichtigsten Staatsangelegenheiten<br />

entschieden wurden, selbst mit großer Umsicht zu leiten. Dazu gehört ja schon<br />

rein körperlich eine ungeheure Frische, denn diese Audienzen fanden alle in früher Morgenstunde<br />

statt. Bei Tagesanbruch war stets alles beendet. In jenen dunklen Morgenstunden<br />

ist mancher wichtige Entschluß gefaßt worden, und mit der gewohnten Sicherheit<br />

des Herrschers hatte die alte Frau ihre Minister und Prinzen in der Hand. Der Prinz<br />

erzählte, wie sie gezittert, wenn sie etwa einen Bericht erstatten mußten. Denn alles<br />

mußte so vorgebracht werden, daß es eine Form hatte, in der es der Herrscherin angenehm<br />

war, sonst geriet sie leicht in Zorn, und sie war furchtbar in ihrem Zorn. Aber auf<br />

der anderen Seite durfte man sich in keinen Widerspruch verwickeln; denn ihr immer<br />

gegenwärtiges Gedächtnis wachte wie ein Adler. Wenn irgend eine Stelle im Bericht vorkam,<br />

die nicht ganz klar war, war sie sofort mit der Frage bei der Hand, wie dieser Punkt<br />

sich zu einer Behauptung verhalte, die der Berichterstatter etwa vor einem Jahre vorgebracht<br />

hatte. Wehe wenn es ihm nicht gelang, jedes Bedenken sofort restlos aufzuklären!<br />

Auf der anderen Seite hatte sie auch einen klaren Blick für das, was im Audienzraum vor<br />

sich ging. Wenn etwa ein alter, verdienter Würdenträger beim Knien Beschwerden hatte<br />

- die Thronberichte wurden alle kniend vorgetragen -, so bemerkte sie es und ließ ihn<br />

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