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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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auf von Geld zu reden, die Kinder hielten inne in ihren Spielen, und der müde Wanderer<br />

stand einen Augenblick still. So quoll das Lied vom Frühling wie Zauberton aus der<br />

Geige des Blinden. Sein Blick war nach innen gekehrt, er nahm keine Gaben, er spielte<br />

und ging weiter. Langsam ging das Lied in der Ferne der Straße unter. Da war es Nacht<br />

geworden, und die Welt war auf einmal wieder wirklich mit drängenden Menschen und<br />

düsteren Häusern, und nur hoch droben klangen noch die Glöckchen der Pagode.<br />

In der Stadt ist auch ein Garten, einer jener alten chinesischen Zaubergärten, wo man<br />

wie in einem Labyrinth zwischen Teichen, Felsen, Pavillons und Hainen wandelt, und<br />

jeder Schritt ein neues Bild dem Auge öffnet. Früher war Einsamkeit um den Garten. Er<br />

lag außerhalb der Stadttore. Jetzt ist in seiner Nachbarschaft der Bahnhof und häßliche<br />

Herbergen für durchreisende Gäste. Wir fuhren mit der Bahn wieder nach Schanghai<br />

zurück. Nachdem wir von den Schönheiten <strong>Chinas</strong> einen Eindruck bekommen hatten,<br />

grinste uns hier wieder alle Häßlichkeit Europas an. Man spricht manchmal von der<br />

Fremdenfeindlichkeit der Chinesen. <strong>Die</strong> Chinesen sind gar nicht »fremdenfeindlich«. Sie<br />

wehren sich nur, in den Schlamm hineingezerrt zu werden, der vom Westen aus die<br />

Welt zu ersticken droht. Aber wie gut könnte man es verstehen, wenn die Chinesen<br />

fremdenfeindlich wären. Wenn man nach dem Erlebnis des alten China zurückkehrt in<br />

den häßlichen Lärm der Großstadt, wo die Sikhpolizisten in englischen <strong>Die</strong>nsten streng<br />

und erhaben dastehen wie schauerliche Maschinenmenschen und den Chinesen täglich<br />

ihre Knechtschaft vor Augen führen, wenn sie mit ihren Stöcken einen armen Rikschakuli<br />

schlagen oder einem schwerkeuchenden Träger einen Tritt geben, damit das Auto<br />

des reichen Fremden ohne Aufenthalt weiterrasen kann, so ergreift einen oft ein starker<br />

Grimm. Nicht gegen die armen schwarzen Sikhs, die ja auch Sklaven sind, sondern<br />

gegen die Menschenmaschine, das Ungeheuer, das sich der Menschen bedient, um die<br />

Menschheit zu vernichten. -<br />

Aber China wird nicht sterben. Es besitzt die Kraft, sich zu retten vor der »weißen<br />

Gefahr«. Es finden sich auch Menschen, die die Fähigkeit besitzen, die europäische<br />

Kultur in ihrem Wesen zu verstehen und sie zu trennen von jenen Äußerungen des<br />

Häßlichen an ihr. In Schanghai fand ich eine Einladung in ein chinesisches Gasthaus<br />

vor. Es war ein unscheinbares Gebäude in einer abgelegenen Nebenstraße. Kein Lärm,<br />

kein Gewühl drang hierher. An den Wänden hingen Sprüche auf roten Wandrollen:<br />

Gedichte von Stammgästen, die hier in vertrautem Freundeskreis angenehme Stunden<br />

verlebt hatten. Es waren gute Namen unter den Künstlern, die diese Andenken hinterließen.<br />

Ein kleiner Kreis traf sich bei einem ausgesuchten Mahl: Künstler und Gelehrte.<br />

Ein alter Herr sprach von der Unverständlichkeit der modernen europäischen Kunst. Der<br />

Maler Tsch'en Schï Tsong, das Haupt der modernen Maler <strong>Chinas</strong> * , gab nun mit ein<br />

paar Sätzen einen Überblick über die modernen künstlerischen Richtungen und ihre<br />

Tendenzen und traf in seiner ruhigen und selbstverständlichen Art allen diesen Richtungen<br />

gegenüber wirklich das Zentrale. Er hat selbst in der chinesischen Kunst etwas von<br />

diesem neuen Geist zum Ausdruck gebracht; nicht in äußerer Nachahmung der Formensprache<br />

oder in vergeblichen Versuchen einer halbverstandenen Öltechnik, sondern<br />

vollkommen frei, vom Boden der chinesischen Tuschetechnik aus, nimmt er die<br />

Anregungen der französischen Künstler auf und schafft daraus eine neue nationalchinesische<br />

Kunst, die, weil sie Kunst ist, doch zugleich allgemein verständlich sich ausspricht.<br />

<strong>Die</strong>se Unterhaltung in dem stillen Winkel von Schanghai zeigt, daß auch im<br />

* Er ist inzwischen gestorben. Seine Bilder und Zeichnungen sind in China schon zu sehr begehrten<br />

Sammlungsgegenständen geworden.<br />

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