27.02.2013 Aufrufe

Die Seele Chinas - Chinaseiten

Die Seele Chinas - Chinaseiten

Die Seele Chinas - Chinaseiten

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

kleinen Treiben der Bergdohlen, die sich in anderen Höhlen angesiedelt haben. So<br />

kommt der Mensch und geht der Mensch, und die Felsen bleiben. Aber auch die Felsen<br />

haben keine Dauer. Leise rinnt Sandkorn um Sandkorn zur Erde. Was oben von den<br />

Gestalten herabbröckelt, begräbt die unteren Teile immer mehr im Schutt. Während so<br />

die Steine kommen und gehen, bleibt der Mensch. Nicht der einzelne, aber die großen<br />

Formen und Sitten, nach denen sich die einzelnen bilden. Vor uralter Zeit, als diese<br />

Felsentempel gebaut wurden, kamen die tungusischen Tobas ins Land. Sie hatten eine<br />

andere Tracht als die Chinesen. Sie umwickelten ihren Kopf mit einem Tuch und wichen<br />

auch sonst in ihrer Kleidung vom Volk der Mitte ab. <strong>Die</strong> Herrscher verboten die Tracht,<br />

sie wollten ihr Volk angleichen dem kultivierten Menschen der Mitte. Sie sind dahin mit<br />

all ihren Geboten und Verboten, und andere sind nach ihnen gekommen und gegangen<br />

im Lauf der Jahrtausende. Und wenn man heute in jene Gegend kommt, so trifft man<br />

Menschen, die in ihrer Tracht noch immer abweichen von dem Volk der Chinesen. Sie<br />

umwickeln den Kopf mit Tüchern und tragen eigenartige Oberkleider, die die Arme und<br />

den größten Teil der Brust frei lassen. Auch die Frauen tragen diese Kleidung, eine<br />

Sitte, die sonst in China unerhört ist. Woher kommt diese Tracht? Sind es Reste der<br />

alten Sitten der Tobas, die sich länger erhalten haben als die Monumente von Erz und<br />

Stein? ...<br />

Solche Gedanken kamen über mich, als ich nach Sonnenuntergang an der Berghalde<br />

vor einer der Grotten saß. Da drunten im Dorf stieg der Rauch so friedlich aus den kleinen<br />

Hütten in die Höhe. Das ganze Leben ging seinen Gang mit der Regelmäßigkeit, mit<br />

der die Jahreszeiten unhörbaren Schrittes über die Erde ziehen. Der Himmel leuchtet in<br />

den letzten Farben des Abends, vor mir in der Steinnische saß eine Kuanyin nachdenklich<br />

da und hatte den Kopf in die Hand gestützt, und oben, hoch droben in den Wolken<br />

flogen zwei Vögel vorüber, die fernher über die Berge kamen ...<br />

4.<br />

Yünkang, 4. September.<br />

Der Eindruck, den der Klostertempel auf mich machte, als uns der Priester zuerst hinführte,<br />

läßt sich nicht besser wiedergeben als mit den Worten Han Yüs, dessen Gedicht<br />

»Bergfelsen« den Stimmungsgehalt von Yünkang merkwürdig trifft:<br />

»Der Mönch erzählt von all den Buddhabildern,<br />

<strong>Die</strong> in die Wand gehaun, sie seien Meisterwerke.<br />

Und eine Fackel holt er, sie ins Licht zu setzen,<br />

Doch sieht man wenig bei dem ungewissen Flackern.«<br />

Aber etwas Merkwürdiges erlebte ich, als ich allein in diesem Felsentempel blieb. Beim<br />

Hereintreten war es ganz finster gewesen, so daß man nichts unterscheiden konnte. Als<br />

ich ganz still eine Weile gewartet und mich innerlich gesammelt hatte, da schlug der<br />

Fels gleichsam die Augen auf. Ein Bild ums andere trat hervor aus der Nacht, wurde<br />

lebendig, begann zu reden. <strong>Die</strong> großen Bilder gaben tiefe, mächtige Akkorde, die<br />

kleinen und immer kleineren ertönten in zarter Melodie, und schließlich war der ganze<br />

Raum in der Tiefe des Berges erfüllt von einem himmlischen Lobgesang, der sich bis in<br />

die höchsten Höhen immer ferner und zarter fortpflanzte. Als ich dieses innere Erlebnis<br />

einer unhörbaren, himmlischen Musik gehabt, da ward mir klar, warum in den alten<br />

86

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!