Die Seele Chinas - Chinaseiten
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en Sänfte hinter sich, um die Braut in das Haus seiner Eltern abzuholen. Denn im<br />
Gegensatz zu der Sitte bei uns in Europa wird die Hochzeit nicht in der Familie der<br />
Braut, sondern in der des Bräutigams gefeiert, wie denn auch die Aussteuergeschenke<br />
vom Bräutigam an die Braut gemacht werden. Und wo Kauf üblich ist, kaufen die Eltern<br />
des Bräutigams ihm eine passende Frau - ebenfalls im Gegensatz zu europäischen<br />
Bräuchen.<br />
In dem Hof des Herzogs war große Festfreude. <strong>Die</strong> Braut war schon angekommen und<br />
in die hinteren Gemächer geführt worden, wo sie nach Vollzug der Trauung ihren roten<br />
Schleier abgelegt hatte und von den Gästen besichtigt werden konnte. Denn das gehört<br />
auch zu einer chinesischen Hochzeit: wenn der Bräutigam die Braut abholt, trägt sie<br />
einen rotseidenen Kopfumhang, so daß sie für den Bräutigam vollkommen unerkennbar<br />
ist, sie wird von <strong>Die</strong>nerinnen in die Sänfte geleitet, und dann geht es fort - der neuen,<br />
unbekannten Heimat entgegen. <strong>Die</strong> Trauung findet mit großem Zeremoniell statt in<br />
Anwesenheit von Vertretern der beiden Familien. Das Brautpaar trinkt aus zwei mit<br />
einem seidenen Faden verbundenen Tassen Wein, kniet nieder, um dem Gott des Himmels<br />
und der Erde seine Verehrung darzubringen, dann werden die Eltern des Bräutigams,<br />
denen die junge Frau nun untertan sein muß, verehrt. Der Schleier fällt, und nun<br />
erblickt der junge Mann zum erstenmal * seine Frau und kann seine Entschlüsse fassen<br />
über die Gestaltung des Zusammenlebens. <strong>Die</strong> junge Frau muß nun aber den ganzen<br />
Rest des Tages zur Schau sitzen, und während sie in der Folgezeit vom Anblick der<br />
Außenwelt streng abgeschlossen wird, muß sie am Hochzeitstag sich von allen Gästen<br />
begutachten lassen - was nicht immer eine leichte Aufgabe ist. Natürlich ging bei der<br />
Gattin des Herzogs die Sache sehr viel dezenter zu. Außer den näheren Anverwandten<br />
hat sie niemand gesehen.<br />
Als ich ankam, erschien der Herzog, um mich zu begrüßen und meine Glückwünsche<br />
entgegenzunehmen. Er sagte mir einige freundliche Worte wegen des Interesses, das<br />
ich an seinen Vorfahren nehme, und lud mich dann ein, an einer der Tafeln Platz zu<br />
nehmen. Auf zahllosen Tischen waren alle Arten von chinesischen Leckerbissen aufgebaut.<br />
<strong>Die</strong> Wände der Räume und der durch Strohmattenverschläge zu Hallen umgebauten<br />
Höfe waren mit rotseidenen Ehrenvorhängen und Glückwünschsprüchen ganz voll<br />
behängt. Von überall her waren Geschenke und Glückwünsche eingegangen.<br />
Während der Mahlzeit wurde auf einer eigens aufgeschlagenen Bühne von den<br />
berühmtesten Schauspielern Theater gespielt. Bei solchen Gelegenheiten werden selten<br />
ganze Stücke gegeben, sondern nur ausgewählte Akte, da ja der Inhalt der Stücke<br />
jedem der chinesischen Zuschauer ohne weiteres geläufig ist, so daß er sich mit Leichtigkeit<br />
in den Gang der Handlung auch eines abgebrochenen Stückes versetzen kann.<br />
Das Theaterspiel war besonders dadurch ausgezeichnet, daß die Kostüme der historischen<br />
Stücke lauter echte, alte seidene Gewänder aus den Truhen der Familie K'ung<br />
waren, wie sie sonst nur noch am Kaiserhof in Peking zu sehen waren.<br />
Kurz nachdem ich mich gesetzt hatte, trat einer der Schauspieler auf mich zu mit einer<br />
Elfenbeintafel, auf der die Stücke verzeichnet waren, die sie in ihrem Repertoire hatten.<br />
<strong>Die</strong> Gelehrten der Gäste durften nämlich ihr Lieblingsstück auswählen, das dann gegeben<br />
wurde. Da galt es mit raschem Blick etwas Passendes zu finden. Denn naturgemäß<br />
wenden sich alle Augen auf einen, und jedermann ist gespannt, welches Stück der<br />
* Wenigstens ist das die Fiktion. In Wirklichkeit hat auch noch unter den alten Bräuchen der Bräutigam<br />
wohl meist schon vorher einen Eindruck bekommen von der durch seine Eltern für ihn erwählten<br />
Gefährtin.<br />
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