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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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sie verhindert, die gefangenen Fische zu schlucken. Sie kommen daher mit ihrer Beute<br />

zurück, die ihnen von den Fischern entnommen wird. Zum Schluß bekommen sie,<br />

nachdem der Ring entfernt ist, dann noch ihren Anteil, um sie munter und fleißig zu<br />

erhalten. Auch mit Netzen wird gefischt, zum Teil mit ganz großen, die die volle Breite<br />

des Kanals einnehmen. Andere Boote kamen uns entgegen. Da sie nicht mit dem Winde<br />

fahren konnten, wurden sie vom Ufer aus, das in der Regel hohe Dämme hat, getreidelt.<br />

Zwei, drei Männer zogen an langer Leine das Schiff, während eine Frau am Steuer<br />

stand und die Richtung gab.<br />

Als der Abend sich niedersenkte, legten wir in der Nähe des K'iung Lung Schan (Berg<br />

des Himmelsgewölbes) an. Lachend und schwatzend begegneten uns Träger und Trägerinnen,<br />

die mit ihren Bergsänften uns zum Kloster hinauftragen wollten. Es war<br />

gerade Wallfahrtszeit, und sie kamen vom Bergkloster zurück, wohin sie reiche Pilger<br />

getragen hatten. Aber die schwere Arbeit lastete nicht auf ihrer <strong>Seele</strong>. Freundlich<br />

lachend boten sie sich an. Wir lehnten ab, doch unter Scherzen und Lachen gingen sie<br />

noch eine Strecke mit, falls einer seinen Entschluß bereue. Als sie merkten, daß wir<br />

entschlossen seien, trennten sie sich fröhlich und munter von uns und kehrten in ihr Dorf<br />

zurück.<br />

Den Berg hinauf führt ein steiler gepflasterter Fußweg. Zwischen Gestrüpp und niedrigen<br />

Bäumen stiegen wir nach oben. Hallen zum Ausruhen und Steintafeln mit Inschriften<br />

stehen am Wege. Oben kommt man durch ein halbverfallenes Torgebäude in den<br />

Tempelbezirk. <strong>Die</strong> Sonne neigte sich dem Untergang zu. Wir stiegen, um den Sonnenuntergang<br />

zu sehen, noch auf die runde Graskuppe, die sich hinter dem Tempel ein<br />

paar hundert Fuß aufwölbt. <strong>Die</strong> ganzen Hänge des steilen Hügels sind bedeckt mit<br />

Blüten, meist roten Azaleen. Auf dem Gipfel ist ein Mauerwerk, das ursprünglich wohl<br />

ein Grab war, das später eingebrochen ist. Im Schein der untergehenden Sonne dehnte<br />

sich der T'ai Hu, einer der größten chinesischen Seen, mit seinen Inseln und Buchten in<br />

unabsehbare Ferne.<br />

<strong>Die</strong> Dunkelheit war hereingebrochen, als wir im Tempelkloster wieder anlangten. <strong>Die</strong>ses<br />

Kloster wird von etwa zwanzig Taoistenmönchen bewohnt. Es ist ein großer Komplex<br />

von Gebäuden und Höfen. <strong>Die</strong> Pilger, die in der Frühlingszeit von weit herum im Land<br />

hierher kommen, pflegen meist auch die Nacht oben auf dem Berg zu verbringen. Mit<br />

uns gleichzeitig waren über siebenhundert Menschen dort, und es war noch immer übriger<br />

Raum da. Ein Mönch erwartete uns am Tor. Er führte uns durch lange Gänge und<br />

steile Treppen, vorüber an gespenstig dunklen Götterwohnungen und weiten Hallen voll<br />

fröhlich schmausender Pilger, in einen stillen, abgelegenen Saal. Ein Feuer brannte auf<br />

dem Boden von Steinplatten. Ein Tempeldiener machte Wasser für uns heiß. Ein paar<br />

Kerzen brannten auf dem Tisch, aber ihr schwacher Schein kämpfte vergeblich gegen<br />

das Dunkel des weiten Raumes. Wir wuschen uns und gingen an die Bereitung des<br />

Abendessens. <strong>Die</strong> Nachricht von unserer Ankunft hatte sich unterdessen unter den Pilgern<br />

verbreitet. In dichtem Gedränge kamen sie heran, um uns zu beobachten. Auch die<br />

Mönche zeigten viel Interesse für die fremden Gäste. Wir suchten eine Unterhaltung zu<br />

führen. Viel kam nicht dabei heraus. Sie erzählten, daß der Tempel dem Nephritherrn,<br />

der den Himmel beherrsche, geweiht sei. Meditationen und fromme Übungen waren<br />

nicht Brauch. Der Tempel gehörte mehr zu denen, in welchen der Gottesdienst nach<br />

festem Ritus abgehalten wird, und der im übrigen als Absteigequartier für Wallfahrer<br />

dient. Zuletzt kam auch noch der Abt. Er war recht aufgeklärt und interessierte sich<br />

lebhaft für den Kognak und die Zigarren, die wir mitgebracht hatten. Aber ein richtiger<br />

Europäer hat immer noch eine Überraschung für einen armen, alten Chinesen. Einer<br />

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