Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Wölbung heiße Fleischbrühe sprudelt. Platten mit rohen Fleischschnitten aller Art, mit<br />
Gemüse, Chrysanthemumblättern und Nudeln werden aufgetragen. Jeder der Umhersitzenden<br />
wählt sich die Stücke aus, die ihm munden, und hält sie mit seinen Eßstäbchen<br />
in die sprudelnde Brühe, bis sie gar sind. Man kann auf diese Weise jeden Grad<br />
der Fertigstellung, der einem angenehm ist, herstellen. Das Gericht wirkt ungemein<br />
erwärmend. Wenn man aber eine Weile in Kornschnaps und Schaffleisch gewütet hat,<br />
so bekommt man schließlich beinahe wilde Wolfsinstinkte, und man kann verstehen, wie<br />
manche Tiere sich in heißem Blut berauschen.<br />
Das Gegenstück zu dieser primitiven Wirtschaft ist ein vegetarisches Haus. Der Wirt hat<br />
die Geschichte seiner Bekehrung aufschreiben lassen und an die Wände der Speisezimmer<br />
aufgehängt. Ihm waren einst im Traum die <strong>Seele</strong>n sämtlicher von ihm<br />
geschlachteten Tiere erschienen: die Schweine bösartig, schnarchend, manche sentimental<br />
quiekend, dann kamen die blökenden Schafe und Ziegen mit vorquellenden<br />
Augen, ein halbes Reh schlich sich heran, und die Scharen von Fasanen, Enten, Hühnern,<br />
Küken, Eiern gackerten und schnatterten durcheinander, die Fische wälzten sich<br />
schnalzend auf dem Boden, die Krabben und Tintenfische stierten aus tückischen, kleinen<br />
Augen, und die kleinen Reisvögel saßen traurig gerupft auf den Drähten. Sie alle<br />
klagten ihn des Mordes an und wollten sich zur Rache über ihn hermachen und ihn<br />
töten. Da flehte er um sein Leben und tat ein Gelöbnis, fürder kein Tier mehr zu töten<br />
und sich mit allen Kräften für sie einzusetzen. Da ließen sie ihn los, und er erhielt noch<br />
einige Geheimrezepte, um ganz besonders gute Sachen zu bereiten. Seitdem kann man<br />
in dieser Wirtschaft haben, was man will: geröstete Schweinenieren, Haifischflossen,<br />
Schwalbennester, Fischkoteletten und hundert Dinge mehr, die alle trefflich munden,<br />
aber alle nur vegetarisch zubereitet sind. Mit großer Geschicklichkeit versteht es der<br />
Wirt, die Leute vergessen zu machen, daß sie im Grunde heilig sind und die Askese der<br />
Fleischenthaltung treiben.<br />
So gibt es noch eine ganze Menge von Spezialitäten, mit denen man sich die Zeit vertreiben<br />
kann. Neben erlaubtem Zeitvertrieb ist auch der unerlaubte nicht ganz unbekannt.<br />
Gelegentlich tun sich in verborgenen Winkeln einige Bekannte zusammen zum<br />
Spiel. In der Regel ist es das »Majongspiel«, das auf chinesisch Ma Ts'üo P'ai heißt,<br />
und von dem die Sage geht, daß es ein General Ma im Felde erfunden habe, um einen<br />
Zeitvertreib für seine Soldaten zu haben. In China ist das Spiel, wie jedes Glücksspiel,<br />
verboten, da es viel Unglück ins Haus bringt; denn trotz aller Ruhe bei der Handhabung<br />
der hübschen harmlosen Dominosteine pflegt es die Leidenschaft der Spieler aufs heftigste<br />
zu erregen, und nicht selten ist es, daß die ganze Nacht beim Spiel verbracht wird<br />
und der Morgen durch die Fenster scheint, wenn der Verlierer seine Verluste zusammenrechnet.<br />
<strong>Die</strong> Industrie, die sich mit der Anfertigung solcher Spiele beschäftigt, ist<br />
neuerdings sehr in Blüte gekommen wegen der unglaublichen Menge von Majongspielen,<br />
die eine Zeitlang namentlich nach Amerika exportiert zu werden pflegten. So heftig<br />
war diese Leidenschaft, daß die Damen sogar eigene »Majonggowns« aus China bezogen.<br />
Das waren aus der Mode gekommene und daher abgelegte Kleider von Prostituierten,<br />
die nun im Westen zu Ehren kamen. Später wurden für den Export auch extra<br />
antike Gewänder hergestellt, die ganz reinlich und neu aussahen. Wie heftig die Leidenschaft<br />
für Majong war, dafür ist das beste Beispiel eine kleine Geschichte, wie ein<br />
<strong>Die</strong>nstmädchen ihrer Herrin kündigte. Als sie nach dem Grund gefragt wurde, sagte sie,<br />
sie habe sich im Hause über gar nichts zu beklagen, aber der Hausherr sei geisteskrank<br />
geworden, und sie fürchte sich. Als sie kürzlich morgens früh ins Gesellschaftszimmer<br />
gekommen sei, habe immer noch Licht gebrannt, und der Herr sei erschöpft und flu-<br />
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