Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Tiefe gegliedert, die Zeit als Raum, das große, vornehme Wartenkönnen, behagliche<br />
Wirklichkeit ausgebreitet auf der sicheren Erde, gelb und stark in Farben leuchtend,<br />
darüber als Ahnung sich wölbend und Bedeutung verleihend der große, erhabene, blaue<br />
Himmel: Einheit von Himmel und Erde, die Ewigkeit konkret in der Zeit erscheinend, das<br />
Erhabene im <strong>Die</strong>sseits.<br />
Gewiß, dieses Weltgefühl - letzten Endes das Weltgefühl der Ebene - ist heute vergangen.<br />
Wir wollen nicht mehr den Reichtum des Raums in der Weite des Weges und der<br />
Länge der Zeit sich entfalten sehen. Wir wollen Zeit sparen, Räume überwinden, alles ist<br />
uns zur Stufe geworden und Mittel zum Zweck und jeder Zweck selber wieder Mittel für<br />
etwas anderes. Darum wirkt diese lebhaft tüchtige Wirklichkeit auf viele Menschen so<br />
aufregend. Sie haben nicht mehr die Zeit dazu. So hat man ja auch den größten Irrtum<br />
begangen und Pekings Straßen mit Straßenbahnen durchzogen. In Peking muß man<br />
Zeit haben und darf nicht nach Sensationen jagen. Wer keine Zeit hat, mag nach<br />
Schanghai gehen und dort sich von Mephisto unterweisen lassen, was zu einer Großstadt<br />
gehört von Rollekutschen, lärmigem Hin- und Widerrutschen, ewigem Hin- und<br />
Widerlaufen zerstreuter Ameis-Wimmelhaufen. In Peking gibt es andere Dämonen.<br />
Mephisto fühlte sich hier gelangweilt und so wenig zu Hause wie auf der klassischen<br />
Walpurgisnacht.<br />
Wie groß diese Palaststadt eigentlich ist, das erkennt man erst, wenn man bedenkt, was<br />
seit der Revolution aus ihren Teilen alles geworden ist: zwei große öffentliche Museen,<br />
in denen die Schätze an Kunst und Kunstgewerbe, die Jahrhunderte zusammengebracht<br />
haben, ausgestellt sind, der Zentralpark, der Präsidentenpalast am »Mittleren<br />
Meer«, die Räume für die Arbeiten des Ministerkabinetts am »Südlichen Meer«,<br />
der große Park mit seinen Ausflugshallen und Bibliotheken, der runden Stadt, der großen<br />
Marmorpagode und all den Tempeln am »Nördlichen Meer«, die Unzahl von Büros<br />
und Unterkunftsräumen für alle möglichen Behörden, die Hallen und Höfe, die für die<br />
Zwecke des Parlaments beansprucht wurden, die Räume für den Empfang der fremden<br />
Gäste und neben dem allem noch der ungeheure Komplex, in dem die Tausende von<br />
Hofbeamten, Eunuchen, Palastdamen, <strong>Die</strong>nerinnen, Kaiserinnen mit ihrem ganzen<br />
<strong>Die</strong>nstpersonal untergebracht waren, die Hallen, die den Feuersbrünsten der letzten<br />
Jahre zum Opfer gefallen sind, und die vielen, vielen Räume, die noch immer zur Verfügung<br />
stehen: das zeigt die Weiträumigkeit dieser Anlage, die auf der ganzen Erde in<br />
ihrer Art nicht ihresgleichen hat.<br />
Der Palast bildet das Herz der Stadt. Das Straßennetz führt außen um ihn herum, und<br />
erst seit der Revolution ist der Verkehr von der Oststadt zur Weststadt an einigen Stellen<br />
dadurch erleichtert worden, daß Straßen quer durch das Palastgelände gehen.<br />
Durch die lange Abgeschlossenheit ist es dazu gekommen, daß die beiden Stadtteile im<br />
Osten und Westen einen ganz verschiedenen Charakter bekommen haben. <strong>Die</strong> Oststadt<br />
wird von Süden nach Norden durchschnitten von der großen Hatamen Straße. An<br />
der Straße selbst sind meist Läden und Geschäfte. Aber rechts und links gehen die<br />
Querstraßen ab, die ein seltsames Gewimmel von Menschen und Tieren enthalten.<br />
Kleine, in sich abgeschlossene Gehöfte werden gelegentlich von Europäern gemietet,<br />
die sich darin mehr oder weniger chinesisch und meist recht gemütlich eingerichtet<br />
haben. Wenn man in einer Frühsommernacht mit einigen guten Freunden im blumenduftenden<br />
Höfchen eines solchen chinesischen Anwesens sitzt mit Blumenkränzen im<br />
Haar bei einer Flasche guten Weins, dann läßt sich wundervoll über das Leben reden.<br />
Der Mond scheint dazu über die Dächer her. Draußen tönen die verschiedenartigen<br />
Rufe der Verkäufer, das Lachen der Kinder und der dumpfe Lärm der Ferne. Schließlich<br />
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