Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Auf der höchsten Höhe steht ein Aussichtspavillon. Dort tranken wir Tee und lasen chinesische<br />
Gedichte, die hier in ihrer Heimat lebendig werden und ganz andere Töne<br />
reden, als wenn sie nur aus der Ferne herüberklingen. Es wurde Nacht, und wir stiegen<br />
wieder in das Schiff. Wir kamen an einem Fischerboot vorüber, in dem ein Mann bitterlich<br />
weinte. Seine Frau war eben gestorben und lag tot vor ihm. Unser Schifflein trieb auf<br />
dem See durch Wolken und Sterne und durch die mancherlei dunklen Schatten, die aus<br />
den Tiefen des Wassers emporschauten. Ein Pferd wieherte. Ein Hund bellte hartnäckig<br />
irgendwo am Ufer. Aber das alles waren nur Pausen in der großen Stille, die<br />
ausgespannt war und die hörbar wurde durch den tiefen Ton einer Klosterglocke, deren<br />
einzelne Schläge in langen Pausen über das Wasser zitterten. <strong>Die</strong> Glocken werden in<br />
China nicht geläutet, sondern angeschlagen. Kein wirres Durcheinander streitender<br />
Klänge verschiedenen Temperaments beunruhigt das Ohr. Unser europäisches Kirchengeläute,<br />
dessen chaotische Wellen uns erheben, kommt dem östlichen Menschen<br />
aufdringlich und rücksichtslos vor. <strong>Die</strong> Abendglocke des Bergklosters hat nichts Dringendes,<br />
Drohendes, Überredendes. Sie sendet ihren tiefen vollen Klang durch den<br />
Abend. <strong>Die</strong>ser Ton ist eine Offenbarung, daß hinter allem Schein, hinter aller Vielheit,<br />
hinter allem Leid die eine große Ruhe wohnt. <strong>Die</strong>ser Ton ist wie ein Tor zu einer anderen<br />
Welt. Wer will, kann es betreten, wer nicht will, geht vorüber. Es ist da, nichts weiter.<br />
Der Ton verhallt, dann kommt das große Schweigen wieder. -<br />
Sanft kommt die Ruhe nieder auf das Wasser,<br />
Und zarter Nebel sinkt in jedes Tal.<br />
In der Gebirge Falten aus den Hütten<br />
Steigt Rauch empor. -<br />
Des Abends bunte Farben ebben langsam,<br />
<strong>Die</strong> Hügel stehen kahl und ernst am See.<br />
Glatt legt die weiche Welle an das Boot sich<br />
Und flüstert heimlich.<br />
Da taucht hervor die stille Zauberinsel,<br />
Und spiegelnd grüßt ihr Abbild aus dem See,<br />
Drei kleine Türme stehn und halten Wache<br />
Im Dämmerschein.<br />
In schlanker Weiden feinen Hängezweigen<br />
Verschwirrt allmählich der Zikaden Laut,<br />
Aus dichtem Laube rufen Oriolen<br />
Noch lange Zeit.<br />
Und aus dem Dunkel blitzen tausend Funken<br />
Hoch zwischen Wolken und am Horizont,<br />
Sie tanzen auf den kleinen, glatten Wellen<br />
Und fliegen weiter.<br />
Ein fernes Kloster sendet durch die Stille<br />
Von Zeit zu Zeit der Abendglocke Ton,<br />
Wie durch der <strong>Seele</strong> ruhig dunkle Tiefen<br />
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