Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Wir kehrten nach der Herberge zurück. <strong>Die</strong> Straßen waren nach des Tages Hitze alle<br />
belebt von wimmelnden Menschen. Auch die Frauen und Mädchen, die bei Tag nicht auf<br />
den Straßen zu sehen sind, kommen hier um diese Abendstunde hervor, schön<br />
geschmückt und gekleidet. Studenten und Schüler streichen vorüber und suchen einen<br />
Blick, ein Lächeln zu erhaschen.<br />
Als wir in der Herberge ankamen, war es völlig Nacht geworden, und die Leute waren in<br />
aufgeregten Gesprächen begriffen, denn ein Mann war mit seiner Familie zugereist und<br />
suchte in der Herberge noch unterzukommen. Er erzählte, daß gerade an dem Tag, an<br />
dem wir in Yünkang gewesen waren, in einer benachbarten Stadt eine Meuterei unter<br />
den Truppen ausgebrochen war. Sie hatten Geld bekommen von Tschang Lin, dem<br />
Herrscher der Mandschurei, der auf diese Weise seinen Gegnern innere<br />
Schwierigkeiten bereitete.<br />
7.<br />
Nankou, 6. September.<br />
Am Morgen vor Tagesanbruch, als die kühle Luft noch um die Dächer strich und die<br />
Sterne langsam verblichen, wurde zum Aufbruch gemahnt. Der Zug fährt in Tat'ungfu<br />
ziemlich früh ab. Wir fanden aber, trotzdem mehrere Soldaten und Gendarmen mitfuhren,<br />
ein bequemes Abteil für uns allein. Nun ging die Reise wieder zurück durch den<br />
Talstreifen, der, zwischen unfruchtbaren Bergen liegend, im Lauf der letzten Jahrzehnte<br />
von den chinesischen Bauern der Wüste abgerungen worden ist. <strong>Die</strong> Mongolen, die früher<br />
hier wohnten, haben sich vor der nachrückenden Kultur in ein Tal weiter nach<br />
Norden zurückgezogen. <strong>Die</strong> ganze Bahn bedeutet einen Vorstoß der Kultur gegen die<br />
Steppe der Gobi. Es ist unglaublich, welche kolonisatorische Kraft den Chinesen<br />
innewohnt. Unwiderstehlich drängt sich der Strom der Ackerbauern und Kaufleute nach<br />
der Wüste vor. Das chinesische Vordringen wird, wenn kein wesentlicher Rückschlag<br />
eintritt, noch weite Strecken der Steppe der Kultur erschließen. In solchen Dingen zeigt<br />
sich die große Kraft, die dem chinesischen Volk innewohnt. Denn nicht als Parasiten, die<br />
sich von anderer Reichtum mästen, kommen sie, sondern als Kolonisatoren, die aus der<br />
Wüste Ackerland machen und aus den Territorien von Räuberhäuptlingen geordnete,<br />
wohlregierte Gebiete menschlichen Wohnens.<br />
Wir fuhren eine Zeitlang an einem Arm der großen Mauer entlang, der sich am Fuß der<br />
Berge nördlich der Bahn in der Ebene hinzieht, bis sie plötzlich wieder nach Norden zu<br />
über das Gebirge in weitem Bogen sich hinüberschlägt.<br />
So kamen wir nach Kalgan. Dort gab es einen großen Auflauf am Bahnhof. Zwei gefangene<br />
Räuber waren in unserem Zug mitgefahren, die in Kalgan zur Verurteilung<br />
kommen sollten. Da sah man mitten hinein in diese Kämpfe des Grenzlandes. <strong>Die</strong><br />
vordringenden Kolonisten sehen sich umschwärmt und dauernd beunruhigt von den<br />
Räuberbanden, die unter dem Namen Hunghutsen ja auch in Europa bekannt sind. Das<br />
ist ein Kampf auf Leben und Tod, in dem es keine Schonung gibt. <strong>Die</strong> beiden Räuber<br />
waren mit schweren Ketten beladen und an den Füßen mit hölzernem Block<br />
geschlossen, so daß sie nur langsam und mit kleinen Schritten sich vorwärts bewegen<br />
konnten. Unmittelbar vor dem Bahnhof standen Wagen, in die sie unter starker,<br />
militärischer Bedeckung verladen wurden, um jeden Fluchtversuch unmöglich zu<br />
machen. Ich konnte dem einen im Vorbeigehen ins Gesicht sehen. Er blickte wie ein<br />
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