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Die Seele Chinas - Chinaseiten

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Als am anderen Morgen vor Tagesanbruch die Hornrufe der Wächter durch die graue<br />

Luft tönten und ein dumpfer Trommelwirbel andeutete, daß die Stadttore sich öffneten,<br />

ging die Reise weiter durch die fruchtbaren Gefilde jenes alten Kulturlandes.<br />

Bald kamen wir in K'üsou an. <strong>Die</strong> Stadt, die jetzt eine Bahnstation und ein Hotel in fremdem<br />

Stil hat, war damals noch ganz unberührt von allem Ausländischen. Sie ist fast ausschließlich<br />

bewohnt von den Nachkommen des Meisters K'ung, die sich jetzt zu einem<br />

großen Stamm vermehrt haben. Hier haben wir wohl den ältesten Adel auf der ganzen<br />

Welt. Nicht nur kann die Familie ihren Stammbaum einwandfrei zurückführen auf den<br />

Meister K'ung, der um die Wende des sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts<br />

gelebt hat, sondern darüber hinaus mit großer Zuverlässigkeit bis über das Jahr 1000 v.<br />

Chr. und mit immerhin recht bedeutender Wahrscheinlichkeit bis zur Mitte des dritten<br />

vorchristlichen Jahrtausends. Aber nur ein Glied der Familie trägt jeweils den Titel des<br />

„Herzogs, der den Heiligen fortsetzt“, der inzwischen in den Königstitel erhöht wurde.<br />

<strong>Die</strong> anderen Familienmitglieder sinken gradweise, wie das überhaupt bei chinesischen<br />

Adelsfamilien der Fall ist, wieder auf die Ebene des Volkes herab. Es muß übrigens<br />

erwähnt werden, daß die Familie im ganzen Verlauf ihrer Geschichte eine beträchtliche<br />

Anzahl von recht bedeutenden Männern aufzuweisen hatte.<br />

Inmitten dieser Bevölkerung, die durch ihre Menge den Segen der Kindesehrfurcht sichtbar<br />

verkörpert, die Kungtse zur Grundlage seiner Lehre von der Organisation der<br />

Menschheit gemacht hat, steht der Ahnentempel, in dem der Meister verehrt wird. Konfuziustempel<br />

stehen im ganzen chinesischen Reich in jeder Kreisstadt. Aber jene<br />

Tempel und die Opfer, die dort an festgesetzten Tagen dargebracht werden, ehren ihn<br />

als den Repräsentanten der chinesischen Gesellschaftsidee. Hier wird er verehrt als<br />

Ahnvater des Geschlechtes, das sich um ihn versammelt hat. Während daher die<br />

übrigen Konfuziustempel korrekterweise am Ort der Verehrung kein Bildnis haben,<br />

sondern nur eine aufrechtstehende Holztafel, auf der seine Ehrentitel verzeichnet sind,<br />

und ringsumher die Tafeln seiner Getreuen stehen, thront hier im Tempel auf dem<br />

Herrschersitz, mit dem Blick nach Süden, eine sitzende Statue des Heiligen. Er ist<br />

naturalistisch dargestellt in den Formen, die man nach der Tradition als naturwahr<br />

ansieht: mit dunklem Gesicht, langem, weißem Bart, leicht geöffnetem Mund und<br />

gütigen Blicken. In der Hand hält er ein Zepter, und auf dem Kopf trägt er die Tiara, von<br />

der eine Reihe von Perlenschnüren über das Gesicht herabfallen. Auf dem Altar stehen<br />

kostbare Opfergefäße - die Spenden verschwundener Herrschergeschlechter. Nach<br />

chinesischer Sitte ist es üblich, daß ein Mann begraben wird nach dem Ritus, der<br />

seinem Rang entspricht. Geopfert wird ihm aber von seinen Nachkommen nach den<br />

Formen, die deren Rang entsprechen. Um also den Meister zu ehren mit immer<br />

prächtigeren Ahnenopfern, mußte seinen Nachkommen ein immer höherer Rang<br />

verliehen werden. <strong>Die</strong> verflossene Mandschudynastie wollte sich zuletzt noch an den<br />

großen Meister der Äonen gleichsam anklammern. Sie verlieh seinen Nachkommen den<br />

Titel eines königlichen Prinzen, weshalb denn seither dem Kungtse das Ahnenopfer in<br />

königlichen Nephritgefäßen dargebracht wird, womit er der Gottheit gleichgesetzt ist.<br />

Leider hat diese Ehrung wenig geholfen, und mit dem Herrscherhaus hat auch der<br />

göttlich verehrte Meister an Anbetung verloren.<br />

Der Tempel mit seinen prächtigen von Drachen umschlungenen Marmorsäulen und seiner<br />

edel ernsten Stimmung steht inmitten von uralten Zypressen, die durch<br />

Jahrhunderte und Jahrtausende hier Wacht halten. Manche stehen noch als dürre<br />

Stämme, immer mehr zusammensinkend und niederbrechend, da. Bei anderen ist aus<br />

der Wurzel ein neuer Schoß hervorgekommen; seltsame Lebensbildungen finden sich in<br />

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