Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Schließlich gibt es vielleicht keine größere Weisheit, als jeden auf seine Fasson selig<br />
werden zu lassen, wie das in China bisher üblich war.<br />
Es liegen hier recht schwere Fragen. Ich habe mich einmal einem armen chinesischen<br />
Rikschakuli gegenüber vergeblich bemüht, ihm Europas und Amerikas Fortschritt auf<br />
dem Gebiet der Heilkunde klarzumachen. Er sagte: »Bei uns läßt man die Leute sterben,<br />
wenn sie nicht mehr leben können. Man macht ihnen den Tod leicht, man trauert<br />
um sie und begräbt sie. <strong>Die</strong> so sterben sind die Alten, die Siechen, die Krüppel, die<br />
Schwachen, die doch keine rechte Freude am Leben haben. <strong>Die</strong> Starken und Zähen<br />
reißen sich durch, und wir leiden ja nicht an Mangel von Lebenden, sondern eher an<br />
Überfluß. Ihr schützt und pflegt die Untergehenden und erhaltet Menschen, die sich und<br />
anderen zur Qual sind, nur damit eure Ärzte sich ihrer Geschicklichkeit rühmen können.<br />
Gleichzeitig macht ihr Kanonen und Giftgase und teuflische Maschinen, und damit tötet<br />
ihr in ein paar Jahren mehr Menschen, als ihr vorher jahrzehntelang wider die Natur am<br />
Leben gehalten. Aber die ihr tötet, das sind die Starken und Gesunden, die der<br />
Menschheit noch viel hätten nützen können, und die ihr pflegt und rettet, sind die Krüppel<br />
und Elenden. Ist das nicht töricht?« Ich ließ den Mann mit seinem Wagen weiterfahren,<br />
da ich in der Eile der Geschäfte keine recht passende Antwort zur Verteidigung der<br />
europäischen Kultur bei der Hand hatte.<br />
Aber da wir gerade dabei sind, wollen wir uns auch von den Schattenseiten des Lebens<br />
nicht ohne Worte abwenden. Bei den vier Durchgangstoren des Ostens (Tung Sï P'ai<br />
Lou), die an einer Straßenkreuzung stehen, ist das Kloster des Segens und des Glücks<br />
(Lung Fu Sï). Dort ist alle zehn Tage großer Markt. Peking hat eine ganze Anzahl solcher<br />
Märkte, und es ist ganz belehrend und vergnüglich, sich im Gewühl herumzutreiben.<br />
Der Markt von Lung Fu Sï ist von den Europäern »entdeckt« worden, und die chinesischen<br />
Händler ihrerseits haben bald diesen Umstand auch entdeckt. So ist der eine<br />
Hof des Tempels denn auch jederzeit erfüllt von Altertümern: Tassen, Vasen, Nippsachen,<br />
Kästchen, Platten, Kohlenbecken, Schnupftabakfläschchen, Heiligenstatuetten,<br />
Nephritgegenständen und tausend anderen wertvollen oder wertlosen Dingen. <strong>Die</strong><br />
Preise sind zum Teil reine Phantasiepreise, vage Wünsche des Händlers, wieviel er<br />
vielleicht am liebsten für die Sache hätte. Aber die Leute lassen alle mit sich reden. Es<br />
entspinnt sich ein Kampf um den Preis, der Kennern auf beiden Seiten Freude macht.<br />
Es ist ein Kampf wie ein Trinkspiel. Man nennt nicht den Preis, den einem die Ware wert<br />
ist und über den man nicht hinauszugehen gedenkt, sondern einen weit niedrigeren.<br />
Zweck des Handels ist, sich irgendwo in der Mitte zu treffen. Das ist Sache der Nerven,<br />
der inneren Kraft der imponierenden Persönlichkeit. Der Händler läßt alle Künste einer<br />
primitiven Magie spielen, um den Gegenstand liebreizend und wertvoll erscheinen zu<br />
lassen. Er hat manchmal wunderbaren Erfolg. Oft werden Fälschungen, offenbare<br />
Fehler, Bruch und Verletzungen übersehen, von denen der Käufer sich nachträglich gar<br />
nicht mehr erklären kann, wie das nur möglich war. Im allgemeinen muß man möglichst<br />
die Ruhe wahren, nichts unter allen Umständen haben wollen - erst wenn man innerlich<br />
frei ist, kann man richtig feilschen -, und vor allem, man darf die Händler nie betrügen<br />
wollen. Wenn ein Europäer nach Hause kommt in dem Hochgefühl, einen Händler<br />
gründlich übers Ohr gehauen zu haben, wird er in der Regel mit der Zeit Gelegenheit<br />
haben, seinen Irrtum zu bedauern. Natürlich gibt es auch hier keine Regel ohne<br />
Ausnahme. Ich habe schon Käufer gekannt, die mit den von ihnen gekauften Waren<br />
einfach abgereist sind, ohne zu bezahlen diese Fremden waren keineswegs das, was<br />
man unter <strong>Die</strong>ben zu verstehen pflegt -, aber auf der anderen Seite kann man auch<br />
nicht behaupten, daß jedes redlich erworbene Altertum nun wirklich echt sei.<br />
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