Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Wanken gekommen war, den Plan gerettet, nach dem unter veränderten Verhältnissen<br />
und dennoch in voller Übereinstimmung mit dem Geist seines Erbes die chinesische<br />
Kultur wieder aufgebaut wurde. Es ist wohl keinem der großen Menschheitsschöpfer<br />
gelungen, seine wesentlichen Gedanken so restlos in der großen Öffentlichkeit zu<br />
gestalten wie Kungtse.<br />
Aber heute steht auch China vor neuen Problemen. Nicht nur der Feudalstaat ist<br />
zusammengebrochen. <strong>Die</strong>sen Zusammenbruch hat das konfuzianische System überwunden.<br />
Es ist ja gerade maßgebend geworden, als aus China ein zentralisierter Beamtenstaat<br />
geworden war. Aber heute wankt die Familie, die eigentliche Naturbasis seines<br />
Systems. Selbstverständlich nicht in den Millionen der chinesischen Landbevölkerung;<br />
hier werden seine Lehren noch jahrhundertelang ihre Bedeutung behalten. Wohl aber<br />
bei den Fortgeschrittensten unter den Menschen. <strong>Die</strong> Zellen der Individuen lösen sich<br />
immer mehr los aus ihren Zusammenhängen. Familie und Staat hören auf, die Gefäße<br />
zu sein, in denen sich das wesentliche Leben der Menschheit bewegt. Neue Bildungen<br />
und Bindungen müssen aus dem Chaos auftauchen, wenn die Menschheit sich nicht<br />
atomistisch zerfasern soll. Damit ist der Wortlaut des konfuzianischen Systems<br />
aufgehoben. Es ist kein Zufall, daß die heiligen Schriften des Konfuzianismus, die bisher<br />
die Muttermilch waren, mit der der Knabe Bildung, Wissen und Moral gleichzeitig in sich<br />
aufnahm, aus den Elementarschulen verbannt und Gegenstand des gelehrten Studiums<br />
an den Universitäten geworden sind.<br />
Aber wenn auch das Sterbliche an Kungtse in dieser neuen Welt sich auflösen wird: das<br />
Ewige an ihm, die große Wahrheit von der Harmonie zwischen Natur und Kultur, wird<br />
bleiben und wird der neuen Weltanschauung und Menschengestaltung einen starken<br />
Antrieb geben. Hierin ist er ewig.<br />
Man hat in den letzten Jahren manche Versuche gemacht, auch äußerlich die<br />
Wirkungen des großen Heiligen zu stützen. Man versuchte in K'üfou eine große<br />
Universität der chinesischen Klassiker zu begründen. Aber die Mittel fehlten. Selbst der<br />
Tempel beginnt da und dort schon die Spuren des Verfalls zu zeigen. <strong>Die</strong> Familie des<br />
Heiligen hat viel Unglück. Feuersbrünste haben hin und wieder viele wichtige Schätze<br />
zerstört, und der Geist des Heiligen weilt nicht mehr über seinem Vertreter auf Erden. *<br />
Als ich vom Besuch der Grabstätte des Meisters zurückgekehrt war, fand ich in der Herberge<br />
einen Boten des Herzogs K'ung, der mich zur Teilnahme an seiner Hochzeit einlud.<br />
Er war damals im Begriff, sich zum zweiten Mal zu verheiraten. Obwohl noch ziemlich<br />
jung, war er nach kinderloser Ehe Witwer geworden.<br />
Ein chinesisches Hochzeitsfest ist immer eine »hohe Zeit«. Ein günstiger Tag wird im<br />
Kalender ausgewählt, nachdem die monatelangen Vorbereitungen und Verlobungsbräuche<br />
alle vollzogen sind. Dann zieht der Bräutigam aus in prächtiger Sänfte, mit einer lee-<br />
* In Peking hat sich eine konfuzianische Kirche gebildet, eine Mischung von archaistischen Riten, die von<br />
den meisten derer, die sie darstellen, selber nicht mehr ernst genommen werden, und von modernen<br />
Formen von der Art christlicher Jünglingsvereine amerikanischer Prägung. Der Begründer dieser Kirche,<br />
der auf ihren Bestand für seinen eigenen Lebensunterhalt angewiesen ist, hat Gelder gesammelt und<br />
auch ziemlich viel zusammenbekommen. Er wollte einen runden Turm nach Art der amerikanischen<br />
Wolkenkratzer in Peking errichten. Es sollten Vortragsräume, Kirchensäle, Bibliothekzimmer, Klubräume<br />
und Badezimmer darin untergebracht werden. Ein Dach von gelbglasierten Ziegeln sollte weithin die<br />
Gegend beherrschen. Leider ging das gute Geld, das gesammelt war, damit zu Ende, daß ein<br />
Eisenbetonfundament für diesen Turm in den Boden gebracht wurde. So hat der Begründer denn die<br />
Freude, einen sehr schönen und festen runden Betonplatz in seinem Garten zu haben, der allerdings<br />
während des Spätsommers überschwemmt ist und einen Teich bildet. Statt der Verkündung der Lehre<br />
ertönt das Quaken der Frösche im Teich, so daß auch hier der Humor nicht ganz fehlt.<br />
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