Die Seele Chinas - Chinaseiten
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Der Räuberhauptmann von Lintschong war nicht der erste, der vom Räuber zum General<br />
eine rasche Laufbahn gemacht. Aber er besaß nicht das Zeug dazu. Er und die Seinen<br />
mißverstanden offenbar die neue Stellung, die sie durch Vermittlung der fremden<br />
Vertreter bekommen hatten. Sie konnten es sich nicht versagen, gelegentlich doch noch<br />
ein bißchen zu rauben. So mußten die Vorgesetzten schließlich trotz allem eingreifen<br />
und eine summarische Hinrichtung vornehmen lassen.<br />
Das Auftreten von Räubern ist in China immer das Symptom von Übergangszeiten.<br />
Wenn jeweils die alte Ordnung sich aufgelöst hat, wenn Mißwachs und Teuerung das<br />
Leben unerträglich macht, dann kommt es vor, daß wilde Elemente der Bevölkerung, die<br />
nicht gewillt sind, sich widerstandslos dem Schicksal zu ergeben, ihre Laufbahn<br />
verlassen und als Räuber die Plagen noch vermehren, die auf der Bevölkerung in solchen<br />
Zeiten ohnehin schon lasten. Es ist nicht gesagt, daß das immer die schlechtesten<br />
Elemente sind. Es sind nur die, die lieber Hammer sein wollen als Amboß. Oft kommt<br />
eine religiöse Bewegung hinzu, und aus der Räuberbande wird die Geheimsekte.<br />
Zuweilen schon haben um die Wendezeit zwischen zwei Dynastien solche Geheimsekten<br />
eine Rolle gespielt. <strong>Die</strong> Sekte vom weißen Lotos, die Bruderschaftsekte, die Vereinigung<br />
der Drei und andere haben in solchen Zeiten sich einen Namen gemacht, der<br />
aus Furcht vor den Untaten und einem geheimen Grauen vor ihrer Zaubermacht<br />
gemischt war.<br />
P'u Sung Ling erzählt in einer seiner Novellen, die von einem alten Zauberer handelt,<br />
von den Zauberkunststücken der Sekte vom weißen Lotos. Der Zauberer hatte einen<br />
Lehrling, der mit seiner Lieblingssklavin verbotene Liebe pflegte. Der Zauberer merkte<br />
es wohl, behielt es aber bei sich und sagte gar nichts. Er hieß den Lehrling die<br />
Schweine füttern. Kaum hatte der den Schweinestall betreten, da verwandelte er sich<br />
alsbald in ein Schwein. Der Zauberer rief den Metzger, ihn zu schlachten und verkaufte<br />
sein Fleisch. Niemand erfuhr davon.<br />
Endlich kam der Vater des Lehrlings, um nach ihm zu sehen, weil er schon lange nicht<br />
mehr heimgekommen war. Der Zauberer wies ihn ab, indem er sprach, er sei längst<br />
nicht mehr da. Der Vater ging nach Hause zurück und erkundigte sich allenthalben nach<br />
seinem Sohn, doch konnte er nicht das mindeste erfahren. Allein ein Mitschüler, der<br />
heimlich die Sache wußte, teilte sie dem Vater mit. Der Vater verklagte nun den Zauberer<br />
beim Amtmann. Der aber fürchtete, daß der Zauberer sich unsichtbar mache, und<br />
wagte nicht, ihn zu verhaften, sondern berichtete an seinen Vorgesetzten und bat um<br />
tausend gewappnete Krieger. <strong>Die</strong> umringten nun das Haus des Zauberers. Er ward mit<br />
seiner Frau und seinem Sohn zugleich ergriffen. Man sperrte sie in hölzerne Käfige, um<br />
sie nach der Hauptstadt abzuliefern.<br />
Der Weg führte durch ein Gebirge. Mitten im Gebirge kam ein Riese, der war so groß,<br />
wie ein Baum, hatte Augen wie Tassen, ein Maul wie eine Schüssel und fußlange<br />
Zähne. <strong>Die</strong> Krieger standen zitternd da und wagten nicht, sich zu rühren.<br />
Der Zauberer sprach: »Das ist der Berggeist. Meine Frau kann ihn in die Flucht schlagen.«<br />
Man tat, wie er gesagt hatte, und befreite die Frau von ihren Banden. <strong>Die</strong> Frau nahm<br />
einen Speer und ging ihm entgegen. Aber der Riese wurde wild und verschlang sie mit<br />
Haut und Haar. Alle gerieten darob nur noch mehr in Furcht.<br />
Der Zauberer sprach: »Hat er mir die Frau umgebracht, so muß mein Sohn daran.«<br />
Nun ließ man auch den Sohn heraus. Aber auch er ward gleichermaßen verschlungen.<br />
Alle sahen ratlos zu.<br />
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