Die Seele Chinas - Chinaseiten
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noch recht wenig beachteter - Anfang einer Umgestaltung des chinesischen<br />
Geisteslebens.<br />
Dann kam der japanische Krieg, durch den klar erwiesen wurde, daß die Waffen allein<br />
nicht ausreichen, sondern daß hinter den Waffen der entsprechende Geist stehen<br />
müsse. So begann denn nach Li Hung Tschangs Niederlage die zweite Periode in der<br />
Umgestaltung der chinesischen Kultur. <strong>Die</strong>se Periode zeigt bedeutende Schwankungen,<br />
und von den Führern der Bewegung sind manche später wieder in andere Richtungen<br />
übergegangen oder wurden in der Welt zerstreut.<br />
Während dieser zweiten Periode lag ein Mittelpunkt der Reform am Yangtse in der alten<br />
Stadt Wutsch'ang, die mit Hank'ou und Hanyang zusammen die große Millionenstadt<br />
<strong>Chinas</strong> bildet. Hier saß der Generalgouverneur Tschang Tschï Tung, vielleicht neben Li<br />
Hung Tschang der bedeutendste der alten chinesischen Beamten. Aber während Li<br />
Hung Tschang mehr ein Mann der Praxis war, der weniger Wert auf Feinheit und Schönheit<br />
legte als auf das, was von unmittelbarem Nutzen war, lebte in Tschang Tschï Tung<br />
der Geist des mittelalterlichen Konfuzianismus mit seinem Bedürfnis nach Feinheit und<br />
Form.<br />
Darum war die Reformbewegung, die von Tschang Tschï Tung ausging, ganz anderer<br />
Art. Erst gehörte er zu einer reaktionären Bewegung, der sogenannten Ts'ing Liu Tang,<br />
die den alten chinesischen Geist gegen die neue Zeit verteidigen wollte. Ku Hung Ming,<br />
der lange Jahre Sekretär bei Tschang Tschï Tung war und trotz seiner europäischen<br />
Erziehung sich durch fanatische Anhänglichkeit an das Alte und grimmige Feindschaft<br />
gegen alles Fremde auszeichnet, erzählt von dieser Bewegung, die er mit der Oxford-<br />
Bewegung in England vergleicht * . Er überschätzt ihre Bedeutung. Eine Handvoll literarischer<br />
Ideologen suchte eine Reaktion in die Wege zu leiten, ohne der Sache<br />
gewachsen zu sein. <strong>Die</strong> ganze Bewegung scheiterte kläglich und bedeutet kaum eine<br />
Episode in der Geschichte der chinesischen Reformen.<br />
Tschang Tschï Tung wandte sich denn auch rechtzeitig von diesen Versuchen ab und<br />
wandte sich den jungen aufstrebenden Kantonesen K'ang Yu We, Liang K'i Tsch'ao u.<br />
a. zu, die, ohne selbst im Westen gewesen zu sein oder eine europäische Sprache zu<br />
sprechen, dennoch davon durchdrungen waren, daß ein Geist strenger Kritik die eigene<br />
Kultur zu prüfen habe und daß unter allen Umständen eine Europäisierung der ganzen<br />
Gesetze und der Staatsverwaltung notwendig sei. Durch seine Empfehlung erlangten<br />
die jungen Reformer das Ohr des Kaisers Kuanghsü, der seit 1889 die Zügel der<br />
Regierung in der Hand hatte und seit kurzem sich auch von dem moralischen Einfluß<br />
seiner Tante, der Kaiserin-Witwe Tsi Hsi, loszumachen im Begriff war. Und nun beginnt,<br />
nachdem das alte System Li Hung Tschangs zusammengebrochen war, die Reformära<br />
von 1898. Edikt folgte auf Edikt. <strong>Die</strong> alten Prüfungen, die seit Jahrtausenden das Sieb<br />
waren, durch das die Beamten aus der Masse der Bevölkerung herausgesiebt worden<br />
waren, wurden abgeschafft. Schulen nach westlichem Muster sollten allenthalben<br />
gegründet, das ganze Staatswesen sollte nach westlichem Muster reformiert werden.<br />
Eine allgemeine Bestürzung war die Folge.<br />
Tschang Tschï Tung war in der größten Verlegenheit. Er schrieb die berühmte Abhandlung<br />
über die Notwendigkeit des Lernens. Hier suchte er ein Kompromiß zwischen dem<br />
Alten und dem Neuen. <strong>Die</strong> altheiligen Lehren des Konfuzianismus sollten nach wie vor<br />
das unverbrüchliche Heiligtum der <strong>Seele</strong> bleiben. Hier sollte kein Geist der Kritik, kein<br />
Utilitarismus und Positivismus Eingang finden. Aber in einer Welt der Häßlichkeit, da die<br />
* Vgl. Ku Hung Ming, <strong>Chinas</strong> Verteidigung gegen europäische Ideen. Jena, E. <strong>Die</strong>derichs 1921.<br />
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