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stehen mit bei<strong>de</strong>n Füßen auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und sind in gleicher Weise <strong>de</strong>m Irdischen verhaftet.<br />
Aber die Wahrheit lassen sich bekanntlich die Menschen auch nicht gerne sagen. – Nach <strong>de</strong>n<br />
Winterfeiertagen wur<strong>de</strong> das Buch Philippis erst bekannt im Dorf und ging nun von Hand zu<br />
Hand. Einmal aufmerksam darauf gewor<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r Pfarrer Leute aus ihrer Mitte in sein<br />
Buch gebracht hatte, suchten die hiesigen Leser nun mit Eifer nach solchen Stellen, wie<br />
Kin<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n Rosinen im Kuchen und kamen darüber nicht zu einem ruhigen Genuß <strong>de</strong>s<br />
Buches und zu einer rechten Würdigung <strong>de</strong>r Gesamtarbeit <strong>de</strong>s Dichters. Als Pfarrer hatte<br />
Philippi auch das Bedürfnis, durch seine Schriften nicht nur in schöngeistiger Hinsicht<br />
vere<strong>de</strong>lnd auf seine Leser einzuwirken, son<strong>de</strong>rn auch in sittlicher. Und er hat ihnen auch<br />
manches zu sagen und greift ihnen gelegentlich auch herzhaft ans Gewissen, wie z.B. im<br />
„Eierschuster“. Aber diese Bestrebungen mußten ihr Ziel verfehlen, wenn das Buch nicht<br />
recht aufgenommen und als Ganzes abgelehnt wur<strong>de</strong>.<br />
„Hasselbach und Wil<strong>de</strong>ndorn“ legte sich trennend zwischen Philippi und seine Gemein<strong>de</strong>. Im<br />
Hause <strong>de</strong>s „Hinkelsgriffers“, einen guten Steinwurf weit vom Pfarrhaus entfernt, kehrte<br />
großes Leid ein, und hinfort blieb <strong>de</strong>r gewohnte Platz <strong>de</strong>s Mannes in <strong>de</strong>r Kirche leer. In<br />
Rabenscheid machte <strong>de</strong>r „bise Bou“, <strong>de</strong>r auch „wie frischer Käse vor <strong>de</strong>r Sonne aufs Brett<br />
gesetzt“ wor<strong>de</strong>n war, sich auf seine Weise Luft. Doch wir wollen hier Erinnerungen an<br />
Wun<strong>de</strong>n, die vernarbt sind, nicht weiter auffrischen. Der Dichter hatte eine solche Aufnahme<br />
seine Buches nicht erwartet und litt darum unter <strong>de</strong>r vermeintlichen Verkennung. Da erhielt er<br />
von Th. Z. in Rabenscheid einen tröstlichen Brief. In seiner Antwort darauf vom 9. 2. 1903<br />
läßt uns Philippi einen Blick tun in sein von „Kummer und Trübsal“ beschwertes Gemüt. Er<br />
spricht da von <strong>de</strong>r „bittersten Erfahrung“ seines Lebens, die er in <strong>de</strong>n letzen Wochen gemacht<br />
habe. „Ich bin in dieser Woche unter meiner Gemein<strong>de</strong> gewesen wie ein Hirte, <strong>de</strong>n seine<br />
Her<strong>de</strong> aburteilt und verdammt, ohne ihn zu hören . Doch nun habe ich’s unter meine Füße<br />
gerungen.“ – In <strong>de</strong>m großen „Leid <strong>de</strong>r Fremdheit wi<strong>de</strong>r Willen“ erkannten bei<strong>de</strong> Teile erst<br />
recht, was sie sich einan<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uteten. Haß und Liebe sind ja polare Gegensätze, gehören<br />
wesenhaft zusammen. Wir sehen, Philippi wur<strong>de</strong> zuerst wie<strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>r Lage, er war ja<br />
immer ein Starker. Er sah ein, daß die Leute hier ihren dichten<strong>de</strong>n Pfarrer missverstehen<br />
mußten, weil er <strong>de</strong>m I<strong>de</strong>al Abbruch tat, <strong>de</strong>m vollkommenen Bild, das sie von einem<br />
Seelenhirten in sich trugen. Als wir bei<strong>de</strong> damals in <strong>de</strong>n Osterferien auf einem Gang zum<br />
Wildweiberhäuschen auf die Wirkung seines Buches hier oben zu sprechen kamen, äußerte er<br />
sich dazu: „Bei vielen Leuten hier ist <strong>de</strong>r Pfarrer ein halber Herrgott, und wenn sie dann<br />
menschliche <strong>Seite</strong>n an ihm gewahren, wer<strong>de</strong>n sie irre an ihm.“ Das Gefühl <strong>de</strong>r Schuld, wenn<br />
dieses Wort überhaupt hier angebracht ist, durfte Philippi bei sich beschwichtigen durch <strong>de</strong>n<br />
Gedanken, daß er wohl einzelnen seiner Leute hier durch die Freiheiten, die er sich ihnen<br />
gegenüber erlaubt hatte, wehe getan habe, daß er damit aber Unzählige eines weiten<br />
Leserkreises angeregt und erheitert habe und sie so für Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r bedrücken<strong>de</strong>n Enge <strong>de</strong>s<br />
Alltags entrückt habe. Hatte er doch, wie er in <strong>de</strong>m erwähnten Briefe an Z. angibt, „aus aller<br />
Welt Zuschriften erhalten voll Dank und Anerkennung“ für sein Buch. – Auch die<br />
Kirchengetreuen fan<strong>de</strong>n allmählich wie<strong>de</strong>r zu einer ruhigeren Beurteilung ihres Pfarrers<br />
zurück. „Das Unbekümmertsein“ lag ihm nun einmal im Blute. Man hatte ihn auch zu ernst<br />
genommen. Er schonte sich ja selbst und seine Familei nicht, wenn ihn <strong>de</strong>r Schall anwan<strong>de</strong>lte.<br />
Sie wussten auch, was sie sonst an ihm hatten. Als ausgezeichneter Kanzelredner und starke<br />
Persönlichkeit zog er immer wie<strong>de</strong>r in seinen Bann. – Hätten seine Leute Philippi auch besser<br />
gekannt, so wären sie nicht in <strong>de</strong>m Maße irre an ihm gewor<strong>de</strong>n, wie es damals in <strong>de</strong>r<br />
kritischen Zeit <strong>de</strong>r Fall war. Ohne Zweifel waren in Philippis Glaubensleben Spannungen<br />
vorhan<strong>de</strong>n, ja eine gewisse Zwiespältigkeit in seinem ganzen Wesen. „Ich wähne, daß ich<br />
eine Doppelnatur bin. Ich habe Not mit meiner uneinigen Zweiheit“, so gesteht er selbst<br />
freimütig in einem Schriftchen an seine Wiesba<strong>de</strong>ner Konfirman<strong>de</strong>n. Der „Glaube“, soweit er<br />
ein Fürwahrhalten überlieferter Glaubenslehren be<strong>de</strong>utet, blieb ihm stark angefochten, und er