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getan was in unseren Kräften stand, die Front draußen zu stützen? Die überwiegen<strong>de</strong><br />

Mehrzahl wird diese Frage nicht mit einem aufrichtigen „Ja“ beantworten können. Und jetzt<br />

kommt es uns durch die Ereignisse <strong>de</strong>r letzten Zeit wie<strong>de</strong>r zum Bewußtsein, daß die Soldaten<br />

draußen unsere ureigenste Sache ausfechten. Wie wird’s mit uns in <strong>de</strong>r Heimat, wenn <strong>de</strong>r<br />

Feind ehrenvolle Bedingungen für Deutschland ablehnt und es zum Kampf auf Leben und<br />

Tod kommt? Wird <strong>de</strong>r Feind am Rhein halt machen o<strong>de</strong>r mit seiner weißen, schwarzen und<br />

braunen Meute Deutschland überziehen, bis er in Berlin eingezogen ist? Sollen wir dann<br />

flüchten o<strong>de</strong>r im Dorf bleiben? Diese Fragen bewegen uns jetzt. Äußerlich liegt tiefe Stille<br />

über unserem Dorf wie während <strong>de</strong>s ganzen Krieges. Alles geht seiner Arbeit nach. Heute,<br />

<strong>de</strong>n 28. Oktober ist man noch am Kartoffelausmachen auch Grummet liegt noch draußen.<br />

Mancher hat keine Zeit, in die Zeitung zu sehen, aber was die Uhr geschlagen hat, ahnen<br />

viele. 10. November 1918 Sonntag. Ich war gespannt auf die Waffenstillstandsbedingungen,<br />

an an<strong>de</strong>re Überraschungen dachte ich nicht. Da erzählte mir mein Neffe, daß Umstürzler<br />

einem Gusternhainer Soldaten in Gießen das <strong>Seite</strong>ngewehr abgenommen hätten, an Stelle <strong>de</strong>r<br />

Kokar<strong>de</strong> eine rote Quaste an die Mütze geheftet und ihn dann zurück nach Gusternhain<br />

geschickt hätten. „Das ist die Revolution!“ sagte ich mir. Dann erfahre ich die Abdankung <strong>de</strong>s<br />

Kaisers. War das ein Schlag für uns! „Jetzt braucht <strong>de</strong>r Pfarrer nicht mehr für <strong>de</strong>n Kaiser zu<br />

beten,“ sagte ein Bauer. Ein an<strong>de</strong>rer sagte: „Jetzt wer<strong>de</strong>n die Pfarrer abgesetzt.“ Die großen<br />

Ereignisse sind heute am Sonntag natürlich das Tagesgespräch überall, doch bleibt bei uns auf<br />

<strong>de</strong>n Dörfern alles ruhig. Den meisten tuts doch leid, daß wir keinen Kaiser mehr haben. „Ein<br />

Oberhaupt muß doch sein!“ sagte meine Mutter zu mir. Der monarchische Gedanke lebt tief<br />

im Volke drin, beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n Bauern. Je<strong>de</strong>r weiß auch, daß mit <strong>de</strong>m neuen <strong>de</strong>utschen<br />

Kaiserreich (seit 1841) <strong>de</strong>r wirtschaftliche Aufschwung verbun<strong>de</strong>n war. Der Kirchenbesuch,<br />

unser Pfarrer Weigel, war heute ein wenig besser als gewöhnlich. In solchen Zeiten drängt es<br />

die Menschen zur Geselligkeit, man will hören, seine Gefühle austauschen. Thielmanns<br />

Bernhard sagt mir heute Nachmittag, man habe <strong>de</strong>m Pfarrer an <strong>de</strong>r Stimme die Ergriffenheit<br />

angemerkt, er habe so „heulerig“ gesprochen. Zwei Breitschei<strong>de</strong>r, die einberufen waren, sind<br />

wie<strong>de</strong>r nach Hause gekommen. Man hat sie zurückgeschickt. Der 19jährige Franze Ernst, <strong>de</strong>r<br />

vor <strong>de</strong>m Ausrücken nach <strong>de</strong>r Front stand und von Darmstadt noch einmal heimlich auf Urlaub<br />

hierher gereist war, kann nun auch nicht mehr zurück. So schwächen die Umstürzler unsere<br />

Front, und <strong>de</strong>r Feind hat <strong>de</strong>n Vorteil von <strong>de</strong>r Revolution in Deutschland. Vielleicht wird in<br />

diesen Tagen ja <strong>de</strong>r letzte Schuß an <strong>de</strong>r Westfront verhallen, aber um noch möglichst günstige<br />

Frie<strong>de</strong>nsbereinigungen zu erlangen, hätte Deutschland jetzt ungedingt ruhig und einig sein<br />

müssen. Es muß einem wirklich bange sein um die Zukunft.<br />

11. November. Heute kommt die Nachricht vom Abschluß <strong>de</strong>s Waffenstillstan<strong>de</strong>s. Der<br />

Klavierhändler Magnus aus Herborn besucht mich. Er zieht ein Son<strong>de</strong>rblatt aus <strong>de</strong>r Tasche,<br />

das die Bedingungen enthält. Er liest vor. Ich erschrecke und schlage die Hän<strong>de</strong> zusammen.<br />

Es kommt immer trauriger von Punkt zu Punkt. Mein Besuch bringt auch noch die Nachricht,<br />

<strong>de</strong>r Kaiser sei in Holland. Wie mags ihm heute zumute sein? Trüb <strong>de</strong>r Himmel, trüb die<br />

Herzen. Jetzt hat <strong>de</strong>r Kaiser Muße, darüber nachzu<strong>de</strong>nken, was es mit seinen mittelalterlichen<br />

Vorstellungen von seinen Gottesgna<strong>de</strong>ntum in Wirklichkeit auf sich hatte. Wilson und<br />

Schei<strong>de</strong>mann nahmen sich vor, ihn zu stürzen, und sein Thron fällt zusammen wie ein<br />

Kartenhaus. 22 Kronen fallen aufs Pflaster, und niemand will sie aufheben.<br />

13. November. Vereinzelt kommen Breitschei<strong>de</strong>r Soldaten an, sie erzählen von <strong>de</strong>r Aufregung<br />

und Schießerei in Berlin, die Eisenbahnzüge seien furchtbar überfüllt gewesen. Ich lese von<br />

<strong>de</strong>r Bewegung im Reich und sehe, daß sich die Revolution fast überall ruhig vollzieht, und ich<br />

<strong>de</strong>nke dabei, daß es gut war, daß wir eine straff organisierte Sozial<strong>de</strong>mokratie hatten. Die<br />

Behör<strong>de</strong>n waren überall so klug, einen Wi<strong>de</strong>rstand zu leisten, sonst hätte es furchtbares<br />

Durcheinan<strong>de</strong>r und Elend gegeben, weil unsere Ernährung in <strong>de</strong>n großen Städten nur bei

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