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diese verlegene alte Strickersche angehört welche ein rühren<strong>de</strong>r Beweis <strong>de</strong>r Anspruchslosen<br />

und völliger Genügsamkeit <strong>de</strong>s greisen Weibleins war. Er mochte an die vielen vielleicht<br />

Millionen Menschen <strong>de</strong>nken in <strong>de</strong>r Welt, welche in ihrem täglichen Brot 100 mal besser<br />

gestellt und die <strong>de</strong>nnoch viel weniger Zufrie<strong>de</strong>n waren als die Kranke hier auf <strong>de</strong>m Lager<br />

immer gewesen sein mußte, wenn sie Mittags auf ihre gequellten Kartoffeln Salz streute und<br />

dünnen Kaffee dazu trank. Vielleicht hatte <strong>de</strong>r Pfarrer noch außer<strong>de</strong>m für sich selber etwas<br />

dazu gelernt; wenigstens klang es noch herzlicher als vorher aus seinem Mun<strong>de</strong> wie ein<br />

Gelöbnis: Und für die Zukunft solls Euch auch nicht an <strong>de</strong>m Notwendigen fehlen. Darauf<br />

könnt Ihr Euch verlassen, Ließ. Er wollte ihre Hand ergreifen, aber ihm ergings, als ob er eine<br />

Brennessel angerührt hätte. Es klang fast zornig aus ihrem Mun<strong>de</strong>: Das sage ich Ihnen gleich,<br />

Herr Pfarrer, ich will <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> nicht zur Last sein. Womöglich ins Armenhaus zuletzt<br />

noch, die Schan<strong>de</strong> will ich nicht erleben für die wenigen, alten Tage. Hier zitterte ihre stimme<br />

merklich: Ich habe noch nie nichts genommen und wills auch so halten bis ans End! Mein<br />

Quartal will ich und weiter nichts von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>! Völlig verdutzt über diese entschie<strong>de</strong>ne<br />

Abwehr hatte <strong>de</strong>r Pfarrer zugehört. Wer so sprach, <strong>de</strong>r mußte wohl nach <strong>de</strong>r landläufigen<br />

Regel nicht recht bei Groschen sein. Denn je<strong>de</strong>r Mensch nimmt doch, was er kriegen kann.<br />

Dennoch schien <strong>de</strong>r Pfarrer zu einem an<strong>de</strong>ren Schluß zu kommen. Denn es klang nicht einmal<br />

ärgerlich aus seinem Mun<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn war nur eine wohlmeinen<strong>de</strong> Zurechtweisung: Das ist<br />

falsche Beschei<strong>de</strong>nheit von Euch, Ließ, und wenn Ihr darauf beharrt, ist’s Hartköpfigkeit und<br />

Unrecht gegen Euch. Wer so lange wie Ihr in Ehren <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> gedient hat, hat sein gutes<br />

Recht auf sein Gna<strong>de</strong>nbrot; gibt man es doch einem Hun<strong>de</strong>, geschweige <strong>de</strong>nn einem<br />

Menschen. Wenn ich einmal nicht mehr kann, nehme ich doch auch mein Ruhegehalt. So sollt<br />

Ihrs auch ansehen, und ich will sorgen, daß was Ihr braucht, Euch als Ruhegehalt von <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> gegeben wird. Ist’s so recht Ließ? Aber ganz überwun<strong>de</strong>n war die <strong>Alt</strong>e immer noch<br />

nicht: Ich kanns nicht for<strong>de</strong>rn, wenn ich nichts dafür arbeite; und ich weiß, wie sie auf je<strong>de</strong>n<br />

Pfennig sind. Lei<strong>de</strong>r ist’s so! Doch nun nehmt Vernunft an, Ließ. So versprecht mir<br />

wenigstens, daß Ihr mir immer sagen wollt, wenn Ihr etwas braucht und nichts mehr habt.<br />

Hier gebt mir die Hand darauf! Unter <strong>de</strong>m ernsten Blick <strong>de</strong>s Pfarrers, <strong>de</strong>r sich erhoben hatte,<br />

brach endlich <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r alten Strickersche, und zögernd legte sie ihre Hand in die<br />

<strong>de</strong>s Pfarrers zum Versprechen. So, und nun: Gott befohlen! Das nächstemal re<strong>de</strong>n wir<br />

miteinan<strong>de</strong>r von etwas an<strong>de</strong>rem. Ja, Ihr könnt mir ja manchmal etwas predigen, wenn Ihr Zeit<br />

habt. Nach <strong>de</strong>r Kirche hin komme ich doch nicht mehr. Und als ihr Besucher Hut und Stock<br />

nahm zum Gehen, konnte sie sich doch nicht enthalten, ihm noch auf <strong>de</strong>n Weg zu sagen: Aber<br />

das könnt Ihr mir glauben, wenn Ihr nicht gewesen wäret, hätt ich’s nicht versprochen. Schon<br />

gut, Ließ, gab dieser lächelnd noch in <strong>de</strong>r Tür zurück. Aber jetzt nur auch Vorgehalten! Gott<br />

befohlen!<br />

2. Als die Strickersche noch jung war.<br />

(Dieser Teil <strong>de</strong>r Erzählung ist reine Dichtung. Philippi läßt seine Heldin in <strong>de</strong>r Jugend sehr<br />

Schweres erleben.)<br />

So verwun<strong>de</strong>rlich es an und für sich <strong>de</strong>mjenigen vorkommen mochte, <strong>de</strong>r die einsame Greisin<br />

jetzt als das Urbild eines alten, absterben<strong>de</strong>n Menschenkin<strong>de</strong>s auf ihrem Strohsack liegen<br />

fand, es hatte <strong>de</strong>nnoch einmal eine Zeit gegeben, wo die alte Strickersche jung war. In jener<br />

Zeit schien auch ihr die Sonne heller, da klopfte ihr Herz jugendlich rasch, ihre Hän<strong>de</strong><br />

zitterten noch nicht, selbst bei <strong>de</strong>r schwersten Arbei im Acker und daheim und ihre Füße<br />

nahmen auf <strong>de</strong>r steilen Treppe im alten Elternhäuschen zwei und mehr Stufen sprungweise<br />

auf einmal. Zwar war sie auch damals nichts weniger als schön von Angesicht gewesen. Die<br />

harte Arbeit von Jugend auf ist ein Feind <strong>de</strong>r weichen, sanften Linien <strong>de</strong>r Schönheit und gibt<br />

<strong>de</strong>m Körper wohl kraftvolle, aber eckige Formen, wie sie taugen zur Arbeit, aber nicht für<br />

Staat und Firlefanz.

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