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Aus Fritz Philippis Erstlingswerkchen.<br />

(Einfache Geschichten)<br />

2. Teil: Rosmarin<br />

1. Die alte Strickersche. (=Luise Georg, geb. im August 1832, gest. im April 1900)<br />

Sie hatte eine rauhe, etwas verschrobene Art, wie es an und für sich bei einem 70 jährigen,<br />

alten Jüngferlein, das nie mit einem an<strong>de</strong>ren im Ehejoch zusammen gespannt gewesen, nicht<br />

allzu sehr zu verwun<strong>de</strong>rn war. Manche Leute im Dorf sagten, die alte Strickersche sei<br />

manchmal nicht mehr recht im Kopf, wofür es allerdings in <strong>de</strong>r letzten Zeit, wo sie abgesehen<br />

von <strong>de</strong>n herkömmlichen Gebrechen <strong>de</strong>s <strong>Alt</strong>ers, noch lei<strong>de</strong>nd und bettlägerisch war, einige<br />

Anhaltspunkte gab. Wie sollte auch ein Menschenkind nicht etwas wun<strong>de</strong>rlich wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n<br />

Augen <strong>de</strong>r vielen glücklichen und gleichgilten<strong>de</strong>n Leute, die wie nie die Vereinsamung in <strong>de</strong>r<br />

nie<strong>de</strong>rdrücken<strong>de</strong>n Form kennen gelernt hatten, wie die alte Strickersche auf ihrem kranken<br />

Lager, als sie selbst ihre gewohnte Beschäftigung nicht mehr zum Zeitvertreib hatte. Die<br />

Nähmaschine stand nun stille und re<strong>de</strong>te nichts mehr von ihrer früheren Art, wo sie im<br />

Schnurren das Ra<strong>de</strong>s und im Flicken Auf und Ab <strong>de</strong>r Na<strong>de</strong>l für die <strong>Alt</strong>e eine liebe Lebens-<br />

und Lei<strong>de</strong>nsgefährtin gewesen war. Sie schwieg nun schon seit Monaten. Eine Uhr war im<br />

Stübchen nicht zu fin<strong>de</strong>n, die mit ihrem Tick-Tack Unterhaltung gewährt habe. Nur einige<br />

Fliegen summten um <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>r Greisin, und die waren ihr lästig; sie scheuchte die<br />

Zudringlichen fort mit <strong>de</strong>r Hand. Doch! Eine Unterhaltung hatte die Strickersche noch, die<br />

braune zerlesene Bibel auf <strong>de</strong>m Tisch, die schon halb aus <strong>de</strong>m Einband gefallen war, gera<strong>de</strong><br />

wie das Menschenkind auf <strong>de</strong>m Lager.<br />

Es war kein alltägliches Gesicht, das dort in <strong>de</strong>m Kissen sich unruhig umher warf. Es hatte<br />

feste, ausgeprägte Züge, grobkernig und mit einer le<strong>de</strong>rartig verschrumpften Haut überzogen.<br />

Spärliches rotes Haar, in <strong>de</strong>r Mitte glatt gescheitelt und hinten in einen winzigen<br />

Knotenüberrest zugeknöpft, be<strong>de</strong>ckte <strong>de</strong>n Kopf. Sie blickte auch jetzt noch ganz herzhaft in<br />

die Welt, aber ihre männerartige rauhe Stimme klang noch recht entschie<strong>de</strong>n. Der Mund war<br />

zusammengekniffen und eingefallen. Die Unterlippe, meist vorgestreckt, hatte wohl manchen<br />

Fa<strong>de</strong>n schon angefeuchtet und abgerissen in all <strong>de</strong>n Jahren von Jugend auf bis jetzt, wo die<br />

Zeit nicht mehr fern war, daß ein an<strong>de</strong>rer ihre Brb’fad. Abriß. Aus <strong>de</strong>n ganzen Persönlichen<br />

nahte einem etwas von <strong>de</strong>r herben, aber gesun<strong>de</strong>n Westerwaldluft entgegen, in <strong>de</strong>r sie<br />

aufgewachsen war und welche sie mir mit einer an<strong>de</strong>ren mil<strong>de</strong>ren, aber dunstigeren Luft in<br />

<strong>de</strong>n Tälern vertauscht hatte. Noch vor reichlich einem viertel Jahr hatte man sie durchs Dorf<br />

humpeln sehen, Mittwochs und Samstags Nachmittag, wenn die Schulglocke zur Strickschule<br />

läutete und sie <strong>de</strong>shin ihre Pflicht rief. Aber sie brauchte es niemand erst zu sagen, das mutete<br />

ihr schon je<strong>de</strong>r an, es wur<strong>de</strong> ihr <strong>de</strong>r Weg blutsauer, und gar an <strong>de</strong>r Schule die hohe Treppe<br />

hinauf noch beschwerlicher als früher. Denn gut war es nie gegangen, weil sie nur ein Bein<br />

hatte; das an<strong>de</strong>re war ihr im zwanzigsten Jahre (?schon als Schulkind!) abgenommen wor<strong>de</strong>n,<br />

und an seine Stelle war ein Gummibein, das einzige Neumodische an ihr, getreten. Aber das<br />

konnte trotz aller Kunstfertigkeit ihr das richtige Bein nicht ersetzen, welches aus <strong>de</strong>r<br />

Hergotts-Werkstatt gewesen war. Dennoch hatte sie sich immer wie<strong>de</strong>r hingeschleppt, wenn<br />

das Glöcklein rief, unterwegs im Backhaus, das meist offen stand, kurze Zeit bei <strong>de</strong>n Leuten<br />

ausruhend, die Kuchen be<strong>de</strong>ckten für <strong>de</strong>n Sonntag o<strong>de</strong>r die Reihe hatten mit <strong>de</strong>m Brotbachen.<br />

Bis sie das letztemal auf <strong>de</strong>m Heimwege zusammengebrochen war und von einigen Nachbarn<br />

heimgeschleppt wor<strong>de</strong>n war. (Dieses stimmt nicht!) Seit<strong>de</strong>m hatte sie ihr Stübchen, meist<br />

sogar ihr Bett, nicht verlassen können. Es tuts nicht mehr! An diesen Worten hatte sie selbst<br />

die Endsumme ihrer Wahrnehmungen zusammengerechnet. Aber was es sie gekostet, als sie<br />

<strong>de</strong>n dicken Strich unter ihr früheres, tätiges Leben gezogen hatte – davon erfuhr niemand<br />

etwas. Dem Herrn Pfarrer ließ sie ansagen, die alte Strickersche könne nicht mehr und müsse

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