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Gera<strong>de</strong> die drei Westerwaldbän<strong>de</strong> haben <strong>de</strong>m Dichter viele Freun<strong>de</strong> gewonnen, ja sie waren<br />
bahnbrechend für ihn und seine Schriftstellerei. Und heute noch, nach fast 50 Jahren, ist es so,<br />
daß in <strong>de</strong>n Hausbüchereien, auch wenn sonst nichts von Philippis Werken zu fin<strong>de</strong>n ist, doch<br />
seine Westerwäl<strong>de</strong>r Novellen in irgen<strong>de</strong>iner Ausgabe vorhan<strong>de</strong>n sind und auch gelesen<br />
wer<strong>de</strong>n. – Schlimm wars dagegen, als diese „Lügengeschichten“ in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
Dichters zuerst bekannt wur<strong>de</strong>n. Groß war die Entrüstung über dieses „Verbrechen“ ihres<br />
Pfarrers. Da hatte man nun sein richtiges Bild, wie er mit Lügen umging und das, was er bei<br />
<strong>de</strong>n Leuten heimtückisch erlauscht hatte, mit Hohn und Spott vor aller Welt ausbreitete. Aber<br />
konnten diese ganz unliterarischen Menschen an<strong>de</strong>rs, als ihren Pfarrer missverstehen? Doch<br />
auch dieser Aufruhr legte sich allmählich, und die „kochen<strong>de</strong> Volksseele“ beruhigte sich. Viel<br />
trug in Rabenscheid <strong>de</strong>r Lehrer dazu bei, in<strong>de</strong>m er die Leute abends auf die Schule bestellte<br />
und ihnen das Buch in ruhiger verständlicher Art auslegte. Aber ein großes Misstrauen blieb<br />
doch gegen <strong>de</strong>n Pfarrer, <strong>de</strong>r imstan<strong>de</strong> war, je<strong>de</strong>n einzelnen und sogar das ganze Dorf in aller<br />
Öffentlichkeit zu blamieren.<br />
Doch es sollte sich noch Schlimmeres ereignen, das <strong>de</strong>n Seelsorger und <strong>de</strong>n Dichter<br />
gleicherweise traurig machte. In sein weltabgewandtes Reich brach von außen her <strong>de</strong>r Lärm<br />
und die Geldgier, Industrie und Verkehr, Eisenbahn (-vorbereitungen) <strong>de</strong>r Fabrik (1900). Wie<br />
das alles kam, und was für Menschen in <strong>de</strong>n stillen Dörfern auftauchten, wie die Ereignisse,<br />
durch <strong>de</strong>r Parteien Gunst und Haß verwirrt, sich abspielten, nicht immer zum Heil <strong>de</strong>r<br />
Dorfbewohner, und wie auch <strong>de</strong>r Pfarrer bald <strong>de</strong>n Zorn seiner Gemein<strong>de</strong> (? K.), bald <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
herrischen und misstrauischen Fabrikbesitzers auf sich zog, das ist alles genau, fast<br />
chronologisch (? K), erzählt in <strong>de</strong>m Roman „Weiße Er<strong>de</strong>“ (1913 erschienen), 1921 in <strong>de</strong>r<br />
neuen Auflage „Erdrecht“ genannt. Dieser Roman darf als Abschluß (? 1924 erschien<br />
„Hirsekorn“) und zugleich als <strong>de</strong>r Höhepunkt <strong>de</strong>r Westerwaldgeschichten bezeichnet wer<strong>de</strong>n.<br />
Er zeigt die Vorzüge <strong>de</strong>r Philippischen Erzählungskunst in Menschenschil<strong>de</strong>rung und<br />
Naturbetrachtung in noch verstärkter und verfeinerter Form.<br />
(Diez) Sieben Jahre hatten die Pfarrersleute in Breitscheid zugebracht. Auch in <strong>de</strong>m<br />
abgelegenen Weltwinkel war die Zeit eilig verflogen; aber nun war es genug. Der Drang nach<br />
neuem, nach einer Verän<strong>de</strong>rung im Beruf, <strong>de</strong>r ihm auf <strong>de</strong>m Westerwald keine neuen<br />
Aufgaben mehr zu stellen schien, machte sich immer <strong>de</strong>utlicher bemerkbar. Auch mochten<br />
die unerfreulichen Ereignisse <strong>de</strong>r letzten Jahre ein Wort mitsprechen. – Da kam gera<strong>de</strong> zur<br />
rechten Zeit ein Ruf aus Diez an <strong>de</strong>r Lahn, daß die Gemein<strong>de</strong> von St. Peter ihren ehemaligen<br />
Vikar als Pfarrer haben wollte. Sein getreuer Nachbar, <strong>de</strong>r Hasselbächer (Pfarrer Em<strong>de</strong> in<br />
Schönbach, K.), <strong>de</strong>m er die Sache vortrug, sagte ihm offen, wenn auch mit schweren Herzen:<br />
„Wildling, in dir mel<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Städter; die Stille hat ihr Werk an dir getan. Du bist zu dir<br />
selber gekommen. Nun ist <strong>de</strong>ine Zeit hier oben um“. – Philippi wur<strong>de</strong>, aus großer Konkurrenz<br />
heraus, einstimmig von <strong>de</strong>r St. Petersgemein<strong>de</strong> gewählt, doch unter <strong>de</strong>r Bedingung, daß er<br />
sich verpflichte, die Petersleute nicht ins Buch zu bringen. „Das versprach ich leichten<br />
Herzens, schreibt Philippi im zweiten „Hirsekorn“ dazu, <strong>de</strong>nn ich ahnte schon, daß ich <strong>de</strong>n<br />
Stoff zu meinen künftigen Schreibübungen in einer an<strong>de</strong>ren vermauerten und vergötterten<br />
Welt (Zuchthaus in Diez) fin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>.“<br />
Philippis erste „Lügengeschichte“<br />
Als Philippi im Jahre 1897 seine Westerwäl<strong>de</strong>r Pfarrstelle bezog, run<strong>de</strong>ten sich gera<strong>de</strong> vier<br />
Jahrzehnte, seit<strong>de</strong>m die Strickschule daselbst von <strong>de</strong>r Jungfer Luise G. betreut wor<strong>de</strong>n war.<br />
Je<strong>de</strong>n Mittwoch- und Samstagnachmittag humpelte sie noch mühsam zur Schule. Die<br />
Strickschule war von entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung in ihrem Leben gewesen. Denn schon als<br />
Schülerin <strong>de</strong>rselben hatte sie einen Unfall erlitten, <strong>de</strong>r bestimmend für ihren weiteren<br />
Lebensgang wur<strong>de</strong>. Das Läuten zur „<strong>Alt</strong>en Schule“ geschah damals in <strong>de</strong>r Kirche. Zur