Seite 4 - Alt-breitscheid.de
Seite 4 - Alt-breitscheid.de
Seite 4 - Alt-breitscheid.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
gesteigert, an<strong>de</strong>rerseits Gelegenheit zum Erwerb und zur Beschaffung von Kulturerzeugnissen<br />
etwas erleichtert; auch war <strong>de</strong>r günstige Ausgang <strong>de</strong>s Krieges 1870/71, die Einigung und das<br />
Aufblühen Deutschlands unserm Heimatdorfe in beschei<strong>de</strong>nem Maße zugute gekommen.<br />
Aber man muß trotz<strong>de</strong>m sagen, daß die Leute in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten <strong>de</strong>s vorigen<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rts noch recht arm gelebt haben. Die Ärmeren mußten sich oft genug mit trockenem<br />
Brot und schwarzem Kaffee begnügen. Oft hatte man wochenlang kein Fleisch, dazu rissiges<br />
und schimmeliges Brot. Die Eier trugen wir für 4 ½ und 5 Pfennig zum Krämer. Der<br />
„Butterjung“ von Willingen gab hier in <strong>de</strong>n 80er Jahren meist nur 7 ½ Groschen fürs Pfund<br />
Butter. Auf <strong>de</strong>n Einwand, es wäre doch zu wenig, sagte er: „Ja, mih kann aich net gee.“ Aber<br />
die paar Buttergroschen reichten wenigstens für „Kaffee, Fetts und Salz.“ (Fetts ist die<br />
Bezeichnung für Schuhfett und Rüböl aufs Licht in <strong>de</strong>r Leuchte.) Der Bauer löste zu wenig<br />
für sein Vieh. Einen „Lippe“ (einjähriger, geschnittener Ochse) verkaute man für 18 Taler. In<br />
<strong>de</strong>n 90er Jahren war es schon besser. Die Wogen <strong>de</strong>s allgemeinen Aufschwungs in<br />
Deutschland schlugen nun auch an die Höhen <strong>de</strong>s Westerwal<strong>de</strong>s, und eine kräftige Welle<br />
spülte uns um die Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> die Großindustrie hierher, die (wie schon früher erwähnt)<br />
nicht nur <strong>de</strong>m Arbeiter, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>m Bauern ein reichliches Einkommen brachte. Der<br />
genossenschaftliche Zusammenschluß <strong>de</strong>r Bauern, 1892, (Spar- und Darlehenskasse,<br />
Molkereigenossenschaft, Konsum und <strong>de</strong>rgleichen) trug gleichzeitig wesentlich zur<br />
För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Wohlstan<strong>de</strong>s bei. Mit <strong>de</strong>r Erhöhung <strong>de</strong>s Zolles für<br />
ausländisches Vieh (1902) stieg auch <strong>de</strong>r Preis <strong>de</strong>s inländischen naturgemäß be<strong>de</strong>utend in die<br />
Höhe. Der Bauer erhielt so seine wohlverdiente Entlohnung. Einen weiteren Fortschritt bracht<br />
die 1906 eröffnete Bahn Herborn-Westerburg. Wir traten damit noch mehr aus unserer<br />
Abgeschlossenheit heraus. Die Welt kam zu uns herauf. Als weiterer Grund <strong>de</strong>s<br />
wirtschaftlichen Fortschritts muß <strong>de</strong>r große Gelän<strong>de</strong>verkauf im Osten <strong>de</strong>r Gemarkung in 1910<br />
und <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahren genannt wer<strong>de</strong>n. Ein Geldstrom ergoß sich infolge<strong>de</strong>ssen ins Dorf,<br />
<strong>de</strong>r manches Bauern Schul<strong>de</strong>n hinwegspülte. Dieser Umsatz <strong>de</strong>r Äcker in Geld ist aber in<br />
Wirklichkeit kein Gewinn fürs Dorf, er ist vielmehr auf <strong>de</strong>r Verlustseite zu buchen. Das wird<br />
erst die Zukunft offenbaren, wenn die Bauern die verkauften Äcker, die sie jetzt noch (zum<br />
Teil gegen Pacht) in Benutzung haben, einmal wirklich verloren haben. Der Breitschei<strong>de</strong>r<br />
Heimatbo<strong>de</strong>n wird frem<strong>de</strong> Kapitalisten reich machen, und <strong>de</strong>r Bauernstand, das Rückgrat <strong>de</strong>s<br />
Staates und das Quellbecken für die Volksgesundheit, kann in Zukunft kleinere Scheunen hier<br />
bauen. Überdies haben die Bauern ihre Äcker viel zu billig verkauft, ganz abgesehen von <strong>de</strong>r<br />
Gel<strong>de</strong>ntwertung, die inzwischen <strong>de</strong>r Krieg gebracht hat. Oberflächlich betrachtet, scheint auch<br />
<strong>de</strong>r Weltkrieg <strong>de</strong>n Wohlstand unseres Dorfes vermehrt zu haben. Bauer, Arbeiter,<br />
Gewerbetreiben<strong>de</strong>, Kaufleute. Auch alle Handarbeiter und Han<strong>de</strong>lstreiben<strong>de</strong> haben guten<br />
Verdienst. Mancher, <strong>de</strong>m es vor <strong>de</strong>m Kriege gera<strong>de</strong> nicht zum Rosigsten ging, hat sich gesund<br />
gemacht, seine Schul<strong>de</strong>n (in Geld gemacht) mit lumpigen Papiergeld abgetragen. Miete<br />
brauchen die meisten nicht zu zahlen, so zehren sie zum Teil von <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r Väter und<br />
Großväter. Aber es wird schon noch an<strong>de</strong>rs kommen. Denn <strong>de</strong>n Weltkrieg verloren zu haben,<br />
das be<strong>de</strong>utet doch einen gewaltigen A<strong>de</strong>rlaß am Volkswohlstand, <strong>de</strong>r früher o<strong>de</strong>r später auch<br />
in <strong>de</strong>n entlegensten Dörfern sich zeigen wird. Noch ist Flut auf <strong>de</strong>n Dörfern in 1920. Die<br />
Ebbe wird mit Naturnotwendigkeit folgen. Laßt erst einmal alle die Abgaben kommen, und<br />
baut einmal ein Haus, dann wird’s auch zum Bewußtsein kommen;<br />
Der Krieg mit seinen Folgen hat alle, die nicht Wucherer sind (von dieser Spezies <strong>de</strong>s homo<br />
sopcens gibt es auch in Breitscheid einige Prachtexemplare) ärmer gemacht, worüber <strong>de</strong>n<br />
Tieferblicken<strong>de</strong>n auch <strong>de</strong>r gegenwärtig vorhan<strong>de</strong>ne Wohlstand nicht täuschen kann.<br />
Vulkankatastrophen unserer Heimat<br />
Tertiärer Säugetierfund in einer Braunkohlengrube in Breitscheid