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Lippse Ließ hatte schon früh ihre Mutter verloren. Ein schlimmer Husten, welcher sie<br />

jahrelang quälte, hatte sie nicht alt wer<strong>de</strong>n lassen. Es war jener Husten, <strong>de</strong>r stärker ist als alles<br />

Sträuben <strong>de</strong>r Menschen und alle Kunst <strong>de</strong>r Ärzte. Nicht als ob in diesem Falle viel Kunst<br />

angewandt wor<strong>de</strong>n wäre. Im Dorfe rief man <strong>de</strong>n Arzt nicht allzuerst, und <strong>de</strong>r Ausspruch <strong>de</strong>r<br />

Mutter, welcher sich auch auf die Tochter vererbt hatte, lautete von dieser nützlichen Zunft<br />

nicht allzu vertrauensvoll: Doktor und Apotheke können doch nichts helfen, und was kommen<br />

soll, kommt doch. Desto mehr pflegte man im Vaterhaus <strong>de</strong>r Ließ <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren, oberen Arzt<br />

zu gebrauchen, <strong>de</strong>r immer helfen kann, wenn er auch <strong>de</strong>m Menschen eines nicht abnimmt, das<br />

Sterben.<br />

Zu <strong>de</strong>r Zeit, als die Mutter von <strong>de</strong>r Schweinesucht zum Grabe fortgeholt wur<strong>de</strong>, war also die<br />

alte Strickersche jung gewesen, und das war gut für sie und die Hinterbliebenen. In <strong>de</strong>r<br />

Jugend erholt sich ein Bäumlein noch leichter vom Schlag; und <strong>de</strong>r Blick auf die Ihrigen, <strong>de</strong>n<br />

Vater und doppelt bedauerndswerten Bru<strong>de</strong>r, lehrte sie ohnedies in <strong>de</strong>r rechten Art um die<br />

verstorbene Mutter trauern, in<strong>de</strong>m sie die Last <strong>de</strong>r Pflichten, welche von <strong>de</strong>n Schultern <strong>de</strong>r<br />

Sterben<strong>de</strong>n herabgeglitten war, auf ihren Rücken nahm und davon trug an <strong>de</strong>r Mutter statt.<br />

Der Vater war ein Bie<strong>de</strong>rmann, und, was noch viel mehr sagen wollte, ein aufrichtiger Christ.<br />

Obwohl er nicht zu <strong>de</strong>n dicken Bauern gehörte, war er <strong>de</strong>nnoch zum Kirchenvorsteher<br />

gewählt wor<strong>de</strong>n und fühlte als solcher außer <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> auch die Verantwortung dieses Amtes<br />

und hielt, vornehmlich unter <strong>de</strong>r Jugend, auf Ordnung und Zucht und konnte auch, wo es Not<br />

tat, mit fester Hand zufassen. Die Lippse Ließ war darin ganz die Tochter ihres Vaters und<br />

hatte von ihm die entschlossene, kernige Art und <strong>de</strong>n nach oben gerichteten mützigen Sinn<br />

geerbt, <strong>de</strong>n zu erproben ihr die nächsten Lebensjahre übergenug Gelegenheit gaben.<br />

Schon zum zweitenmale waren auf <strong>de</strong>m Grabflügel <strong>de</strong>r Mutter die Blumen gewelkt, als über<br />

die achtzehnjärige Ließ ein Tag hereinbrach, <strong>de</strong>ssen Schreckensspuren seit<strong>de</strong>m<br />

unauslöschlich in ihre Seele haften blieben. Bei einem Gewitter schlug <strong>de</strong>r Blitz ins<br />

Elternhaus. Während <strong>de</strong>s Löschens <strong>de</strong>s Feuers sprang <strong>de</strong>r geisteskranke Bru<strong>de</strong>r in die<br />

Flammen, <strong>de</strong>r Vater will ihn retten, aber bei<strong>de</strong> kommen dabei um. Die Ließ ist nun ganz<br />

verwaist und hat auch alle Habe bei <strong>de</strong>m Bran<strong>de</strong> verloren. Armes Menschenherz, sollte man<br />

meinen, du könntest so viel Weh ertragen und müsstest nicht brechen in übergroßem Leid?<br />

Und <strong>de</strong>nnoch, du kannst es tragen und brichst nicht zusammen, wenn einer in dir wohnt, <strong>de</strong>r<br />

allmächtige Gott.<br />

3. Rosmarin<br />

Nun bot sich ein weitläufiger Verwandter, <strong>de</strong>r alte Stieler, ein wohlhaben<strong>de</strong>r Bauer, zum<br />

Vormund <strong>de</strong>r Ließ an. Aber niemand im Dorf nahm an, daß es aus Mitleid mit <strong>de</strong>m armen<br />

Mädchen geschehe, <strong>de</strong>nn dieser Mann galt für einen habsüchtigen Menschen, <strong>de</strong>r nur seinen<br />

Vorteil dabei im Auge hatte: Sie soll ihm die Magd sparen! Er war dazu ein Haustyrann und<br />

vertrug sich nicht mit seinen zwei Söhnen. Steit und Unfrie<strong>de</strong> war infolge<strong>de</strong>ssen im Hause<br />

wie böses Geld, das immer wie<strong>de</strong>r kommt! Nur die Ließ bangte sich nicht vor <strong>de</strong>m <strong>Alt</strong>en. Rot<br />

Haar und Ebenholz wachsen auf keinem guten Bo<strong>de</strong>n, knurrte er einmal, als sie an feeht blieb.<br />

Fürchte Gott, dann brauchst du keine Angst vor <strong>de</strong>n Menschen zu haben, nach diesem Spruch<br />

han<strong>de</strong>lte das junge Mädchen. Als sich nun zwischen ihm und <strong>de</strong>m jüngeren <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Söhne<br />

eine tiefe Neigung anbahnte, die zur Heirat führen sollte, da verlor <strong>de</strong>r <strong>Alt</strong>e ganz die Fassung:<br />

er warf das Bettelmensch die Treppe hinunter, daß es ein Bein brach. Dahin kann es kommen,<br />

wenn <strong>de</strong>r Mammon die Menschen an Seile hat und sie mit seiner Geißel, Geiz und Habsucht,<br />

auf <strong>de</strong>n Markt <strong>de</strong>s Elends treibt. Die Ließ bekam ein neues Obdach, wo hin sie auch ihr<br />

Stöckchen Rosmarin mitnahm. Das hatte sie gewartet und gepflegt wie ihren Augapfel, um<br />

sich einmal davon <strong>de</strong>n Hochzeitskranz zu bin<strong>de</strong>n an ihrem Ehrentage. Wie<strong>de</strong>r stand sie nun<br />

am Grabe aller ihrer Hoffnungen. Und da ihr Bein durch <strong>de</strong>n Ba<strong>de</strong>r unsachgemäß behan<strong>de</strong>lt<br />

wor<strong>de</strong>n war, mußte es ihr abgenommen wer<strong>de</strong>n. (Was ihr Bein betraf so war <strong>de</strong>r wahre<br />

Sachverhalt dieser: Als Schulmädchen hatte sie sich beim Schlittenfahren das Bein verletzt.

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