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Michael Stoeltzner ◆ Gangarten des Rationalen:<br />
Zur Schichtenstruktur wissenschaftlicher Revolutionen<br />
Das Kuhnsche Bild wissenschaftlicher Revolutionen muss modifiziert werden, um sowohl einen <strong>für</strong><br />
die Wissenschaftsgeschichte dienlichen Referenzrahmen zu erhalten, als auch um die philosophisch<br />
problematische Alternative zwischen Rationalität und historischer Kontingenz eines Paradigmenwandels<br />
zu vermeiden. Diese Alternative resultiert aus einem vereinfachenden Zweischichtenmodell, das<br />
Kuhn mit den Vertretern des Logischen Empirismus teilte. Einer vor- und einer nach-revolutionären<br />
Theorie stehen dabei schlicht die – selbstverständlich jeweils theoriegeladenen – Daten gegenüber. In<br />
Aufnahme neuerer Vorschläge von Michael Friedman verstehe ich hingegen ein wissenschaftliches Paradigma<br />
als eine mehrschichtige Struktur, aufgebaut aus den empirischen Gesetzen, den von diesen<br />
vorausgesetzten Rahmenprinzipien, dem eine Formulierung beider überhaupt erst erlaubenden mathematischen<br />
Begriffe und alle drei Ebenen interpretierenden philosophischen Reflexionen. Während<br />
eine Kuhnsche Revolution einem universalen Bruch auf der gesamten theoretischen Ebene bedeutet,<br />
entspricht in Friedmans Modell eine wissenschaftliche Revolution einem Bruch auf einer Ebene, der<br />
die anderen intakt lässt. Daher können diese sowohl zum Vordenken des neuen Paradigmas als auch<br />
zu dessen Rechtfertigung herangezogen werden. Für Friedman selbst stehen die Ebenen im Verhältnis<br />
eines konstitutiven a priori. Dieser kantische Ansatz erscheint mir jedoch zu eng, um <strong>für</strong> die Wissenschaftsgeschichte<br />
in ihrer Breite nutzbar zu sein. Ausgangspunkt meiner Modifikation von Friedmans<br />
‚Dynamik der Vernunft‘ ist, dass die jeweils intakt bleibenden Schichten einen Referenzpunkt <strong>für</strong> den<br />
<strong>für</strong> die Wissenschaftsgeschichte unerlässlichen Wechsel zwischen Nahaufnahme (Mikroanalyse) und<br />
Weitwinkel (longue durée) bilden. Diesen Punkt möchte ich abschließend an der Entwicklung der Brownschen<br />
Bewegung und der Geschichte der Quantenrevolution verdeutlichen. ◆<br />
Silvia Stoller ◆ Den Schmerz aushalten –<br />
Zur poststrukturalistischen Ethik bei Judith Butler<br />
Der Vortrag versteht sich als Beitrag zur poststrukturalistischen Ethik im Kontext des poststrukturalistischen<br />
Feminismus. Im Zuge dessen greife ich auf Judith Butler und auf eine ihrer jüngsten<br />
Publikationen zur Geschlechtertheorie zurück, nämlich auf die Aufsatzsammlung „Die Macht der<br />
Geschlechternormen“ (Frankfurt/Main: Suhrkamp 2009). In dieser philosophisch reichhaltigen<br />
Publikation werden Fragen der Ethik zentral behandelt. Dabei wird vom existenziellen Faktum der<br />
menschlichen Verletzbarkeit ausgegangen. Bei der Beschreibung dieser Verletzbarkeit bleibt Butler<br />
jedoch nicht stehen. Vielmehr fragt sie, wie der aus der Verletzung resultierende Schmerz und die<br />
damit verbundene Trauer zu einer „Ressource der Politik“ gemacht werden können. Anstelle einer<br />
Auflösung von Trauer und Schmerz plädiert Judith Butler <strong>für</strong> ein Aushalten des Schmerzes und der<br />
Trauer, um mittels dessen das Bewusstsein der universalen menschlichen Verletzbarkeit zu schärfen<br />
und eine ethische Beziehung zwischen den Menschen zu befördern. Im Vortrag wird dieser ungewöhnliche<br />
Vorschlag vorgestellt. Es wird gezeigt werden, dass die poststrukturalistische Ethik Judith<br />
Butlers Hilfestellung von der Psychoanalyse erfährt. Und es wird schließlich kritisch gefragt werden,<br />
inwiefern das Aushalten von Schmerz im Rahmen einer philosophischen Geschlechterforschung von<br />
Nutzen sein kann. Ziel ist es, einen Beitrag zur poststrukturalistischen Ethik in feministischer Perspektive<br />
zu leisten und insbesondere die noch wenig rezipierte philosophische Ethik im Werk von<br />
Judith Butler transparent zu machen. ◆<br />
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