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P<br />
Michael Poznic ◆ Fiktionen in den Wissenschaften<br />
Was haben Wissenschaft und Fiktionen miteinander gemeinsam? Prima facie scheinen diese<br />
beiden Begriffe unvereinbar zu sein. Des ungeachtet werden in letzter Zeit wissenschaftliche Modelle<br />
als paradigmatische Vehikel der Repräsentation mit Fiktionen verglichen. Folgende Gründe<br />
sprechen jedoch dagegen, Modelle und Romane als paradigmatische fiktionale Werke auf eine Stufe<br />
zu stellen. (i) Die übliche Erwartung an Modelle ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern.<br />
Wer einen Roman aufschlägt, möchte sich unterhalten vielleicht sogar auch bilden. Zuverlässige<br />
Prognosen über zukünftige Ereignisse, die von vielen Modellen ermöglicht werden, sucht man<br />
in der schönen Literatur jedoch vergeblich. In einem weiten Sinne können Fiktionen sicherlich<br />
die Erkenntnis erweitern. Eine gleichwertige epistemische Funktion wie wissenschaftliche Modelle<br />
besitzen sie jedoch nicht. (ii) Modelle werden im Gegensatz zu Fiktionen durch wissenschaftliche<br />
Forschung validiert. Explanatorische Modelle können experimentell getestet werden. Bevor<br />
ein Modell anerkannt wird, sind in der Regel eine große Anzahl von Experimenten durchgeführt<br />
worden, um dieses Modell zu bestätigen. Die Anerkennung eines Romans hängt dagegen vorrangig<br />
von ästhetischen Kriterien ab. (iii) In viele Modelle fließen Annahmen über Dinge ein, die nicht<br />
existieren. Beispiele sind Punktmassen, perfekt rationale Akteure oder reibungslose Flächen. Dadurch,<br />
dass ein Modell solche Elemente enthält, wird es noch nicht zwangsläufig selbst zu einem<br />
Werk der Fiktion. Wie können diese fiktionalen Elemente theoretisch rekonstruiert werden? Zum<br />
einen ist es möglich, diese Elemente als fiktive Gegenstände zu betrachten. Andererseits könnten<br />
diese Elemente schlicht falsche Annahmen sein, die bei der Konstruktion eines Modells vorausgesetzt<br />
werden. Die erste Möglichkeit soll in diesem Beitrag einer kritischen Betrachtung unterzogen<br />
werden. ◆<br />
Marisa Przyrembel ◆ Die epistemische Zweite-Person-Perspektive<br />
und (anti-)soziale Interaktion<br />
In der Philosophie des Geistes wurde bislang auf die Erste-Person-Perspektive (1PP) sowie<br />
die Dritte-Person-Perspektive (3PP) rekurriert, um epistemische Zugänge zu beschreiben. Kann<br />
jedoch mit der 1PP bzw. der 3PP die menschliche Perspektivität erschöpfend beschrieben werden? Die<br />
These des Vortrags bestreitet dies. Der Grund besteht in den Besonderheiten sozialer, bidirektionaler<br />
Beziehungen, der Zuschreibung mentaler Zustände (das „other-minds“-Problem) sowie<br />
der Perspektivübernahme. Die Theory-Theory als auch die Simulation Theory (welche die soziale<br />
Interaktion als entweder aus der 3PP respektive der 1PP erklärbar ansehen) ließen die 2PP als eine<br />
eigenständige Perspektive bis vor kurzem obsolet erscheinen. Empirische, v.a. entwicklungs- und<br />
sozialpsychologische wie auch neurowissenschaftliche Daten (z.B. Vogeley & Schilbach, in Druck)<br />
weisen jedoch auf die Sonderstellung einer sozialen Perspektive hin. Diese erstreckt sich im frühesten<br />
Kindesalter von basalem Erkennen sozialer Ähnlichkeiten (Meltzoff & Moore, 1977) über das Zuschreiben<br />
von Intentionen und Emotionen (Tomasello & Carpenter, 2005) bis hin zur Empathie.<br />
Ein Fehlen der 2PP fällt als Scheitern jeglicher sozialer Interaktion stark auf und wird gemeinhin mit<br />
der Diagnose des Autismusspektrums (F 84.0) klassifiziert. Unter sozialer Interaktion sind jedoch<br />
nicht ausschließlich die prosozialen, empathischen Handlungen zu zählen, wie sie bei Kleinkindern<br />
in Verhaltensexperimenten sehr früh nachzuweisen sind. Auch „antisoziale“, d. h. egoistische,<br />
kompetetive und aggressive „Fähigkeiten“ müssen zu dem Begriff sozialer Fertigkeiten gezählt werden,<br />
deren Basis wiederum die 2PP darstellt. Diese Fertigkeiten (Täuschung/Manipulation anderer)<br />
entwickeln sich jedoch später als altruistische Kompetenzen (Sodian et al., 1991). Durch das Öffnen<br />
ihrer disziplinären Grenzen kann die Erkenntnistheorie demnach wichtige Impulse beziehen und<br />
eine weitere, grundlegende epistemische Perspektive analysieren: die 2PP. ◆<br />
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