25.10.2012 Aufrufe

Verlag.Buchhandel.Service. - Österreichische Gesellschaft für ...

Verlag.Buchhandel.Service. - Österreichische Gesellschaft für ...

Verlag.Buchhandel.Service. - Österreichische Gesellschaft für ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

L<br />

Elisabeth List ◆ Körper, Kontingenz, Endlichkeit.<br />

Bemerkungen zu einer Philosophie der Grenze<br />

Ludwig Wittgenstein sagt: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“. Diese<br />

Aussage lässt offen, ob es sich um Grenzen handelt, die ein <strong>für</strong> allemal festliegen, oder ob sie sich<br />

öffnen oder verschieben lassen. Viel spricht da<strong>für</strong>, dass sie offen und wandelbar sind, wie auch die<br />

Grenzen des Körpers, die sich durch die Biotechnologie verschieben lassen. Was heißt es, solche<br />

Grenzen zu überschreiten? Epistemologische Grenzen: Grenzen der Erkennbarkeit, des Wissens<br />

und der Vernunft, die sich hermeneutisch/phänomenologisch deuten lassen als „Signaturen der<br />

Kontingenz“, oder im Sinne des Poststrukturalismus zur „Dekonstruktion“ von Modellen absoluten,<br />

sicheren und kontextfreien Wissen Anlass geben, um der Situiertheit und Kontextualität aller Projekte<br />

der Erkenntnissuche Rechnung zu tragen. Ontologische und existentielle Grenzen: Das Funktionieren<br />

elementarer körperlich verankerter Prozesse des Leibseins ist eine unverzichtbare Voraussetzung<br />

da<strong>für</strong>, dass wir leben. Das gibt organischem Leben seine eigene ontologische Qualität. Auf<br />

dieser Basis sind die Leistungen möglich, die uns als tätige, wahrnehmende und reflektierende Wesen<br />

ausmachen. Jenseits dieser ontologischen Differenzierungen ist unser Leben etwas, was materielle,<br />

psychische und darüber hinaus soziale Dimensionen hat, in denen es sich als offener Prozess realisiert.<br />

Es realisiert sich in den Grenzen, die ihm von seinem Körper auferlegt sind. Aber es realisiert<br />

sich auch durch Grenzen, die ein seinem Bewusstsein im Feld des Sozialen, der <strong>Gesellschaft</strong>. Diese<br />

Grenzen sind formbar, und die Formen des Lebens sind der Transformation und der Revision fähig,<br />

mit anderen Worten, ein Thema der Politik. Dahingegen erscheint das Faktum der Leibgebundenheit<br />

eine nicht aufhebbare Grenze des Lebens zu sein. Alle Anstrengungen zur Optimierung des Körpers<br />

sind Versuche, diese Grenzen zu verschieben. Sie können aber nichts ändern an der Gewissheit, dass<br />

Endlichkeit, dass Sterben ein wesentlicher Abschnitt des Lebens selbst ist. ◆<br />

Dirk Lüddecke ◆ Der Wanderer und das Meer. Gerechtigkeit und<br />

die Grenzen des Wissens in Dantes „Göttlicher Komödie“<br />

Die Säulen des Herakles markieren in der Welterfahrung des Mittelalters Grenzen. Der Dichter<br />

und Philosoph Dante Alighieri hat im 26. Gesang des Inferno das wagemutige ‚plus ultra‘ des<br />

Odysseus dargestellt. Im „tollen Flug“ mißachtet Odysseus die Grenzmarken, gerät in Sichtweite des<br />

Läuterungsberges auf der südlichen Erdhalbkugel in einen „gerechten“ Sturm und geht unter. Die<br />

Grenzen, welche die Säulen des Herakles markieren, sind Grenzen des Wissens. Wer sie mißachtet,<br />

ist bewegt von lasterhafter curiositas. Die Verfehlung des Odysseus aber ereignet sich in Dantes plastischer<br />

Anschauungswelt nicht zufällig in der Symbolwelt des Meeres. Eine zweite Grenze menschlichen<br />

Wissens ist in der Commedia auf dem Gipfel des Läuterungsberges erreicht. Hier müssen sich<br />

die Wege Dantes und Vergils, seines heidnischen Führers durch die beiden ersten Jenseitsreiche,<br />

trennen. Dessen weltliches Wissen reicht über diese Grenze hinweg nicht mehr. Damit stellt sich<br />

indes ein grundsätzliches Gerechtigkeitsproblem, war es doch Vergils einzige „Verfehlung“, ungetauft,<br />

da zu früh verstorben zu sein. Ein erschreckender Kontingenzverdacht macht sich inmitten<br />

des Danteschen „poems of justice“ (Gilbert) geltend. Sind die aufkommenden Zweifel des Wanderers<br />

wirklich nur der Schwäche des menschlichen Intellekts pro statu isto geschuldet, wie es Beatrice<br />

einmal suggeriert: „Darum verliert sich ganz in der immerwährenden/Gerechtigkeit eure Sicht, die<br />

eurer Welt zugeteilt ist,/wie das Auge im Meer [...]? Dantes Commedia ist eine Ordnungsvision <strong>für</strong> das<br />

große Meer des Seins, in der jedoch die Zweifel des Wanderers an der Gerechtigkeit der Ordnung<br />

eher durch paradiesische Freuden zum Verstummen als durch Vernunftargumente gelöst werden.<br />

Wie geht eine Gerechtigkeitsvision mit den Grenzen des Wissens um und welche Bewandtnis hat die<br />

Symbolsprache des Meeres als entgrenzter Raum dabei? ◆<br />

72

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!