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Martin Huth ◆ Anspruch und Gerechtigkeit<br />

Gerechtigkeit wartet nicht. Es gibt je Ansprüche, akutes Leiden, helle Empörung, die verhindern,<br />

dass wir Strukturen, Normen und Regeln bloß auf Fälle anwenden; zugleich gibt es aus denselben<br />

Gründen nicht immer Aufschub, der es erlaubt, unser Handeln einer universellen Prüfung zu<br />

unterziehen – was uns von Verantwortlichkeit nicht entbindet. Wir müssen, wie Derrida sagen würde,<br />

handeln und verantworten, was gerecht gewesen sein wird. Bei Aristoteles finden wir die Unterscheidung<br />

von Gerechtigkeit der Regeln und Institutionen und Gerechtigkeit als vollkommene Tugend,<br />

worin sich ein Überschlag zwischen Ethischem und Politischem zeigt. Als vollkommene Tugend<br />

bildet die Gerechtigkeit im Verbund mit dem „Billigen“ einen Überschuss der Anwendung vor dem<br />

Horizont von Geregeltem. Auch in deontologischen Ansätzen finden sich Überlegungen zu Anwendungsbedingungen<br />

in Rawls’ Überlegungsgleichgewichts oder in Habermas’ Zeit- und Wissensindex,<br />

der sogar die Historizität der Normen selbst anspricht. Ein jeweiliges Gerechtigkeitsethos erweist<br />

sich als historisch-kontingent und mithin begrenzt. Gleichzeitig aber sind diesem Ethos Überschüsse<br />

inhärent – siehe Aristoteles’ Begriff des Billigen bzw. Derridas „Juridi-Politisierung“, die meint,<br />

dass Regelungen nie alle Dimensionen beherrschen, die in den Begriff der Gerechtigkeit fallen; eine<br />

diametrale Gegenüberstellung von Norm und persönlicher Verantwortung bleibt ausgeschlossen.<br />

Umgekehrt ist die individuelle Verantwortung auch mittelbar auf das bezogen, was Young strukturelle<br />

Ungerechtigkeit (Un-/Gerechtigkeit hat also Adressaten, aber nicht zwingend Adressanten) nennt;<br />

eine ungerechte Norm entbindet nicht von Verantwortung. Es bleibt der jeweilige Anspruch Anlass<br />

und Kriterium des Ver-Antwortens, das über etablierte Normen hinausgehen, selbige in Frage stellen<br />

und gegebenenfalls modifizieren kann, aber nicht unendlich und nicht beliebig. Es lauern sonst<br />

Ungerechtigkeit oder die Hybris einer gnadenlosen Gerechtigkeit. ◆<br />

Julia Inthorn ◆ Übergänge zwischen der Ethik des Guten und des Rechten<br />

in medizinethischen Entscheidungen<br />

Die Unterscheidung zwischen dem Guten und dem Rechten in der modernen Philosophie ist<br />

nicht nur <strong>für</strong> meta-ethische Fragestellungen grundlegend, sondern bildet auch die Basis <strong>für</strong> alle<br />

Bereichsethiken wie beispielsweise die Medizinethik. Innerhalb dieser Unterscheidung liegt der Fokus<br />

des aktuellen medizinethischen Diskurses auf der Diskussion von Normen, Prinzipen und Gesetzen.<br />

Demgegenüber werden Wertvorstellungen oder Vorstellungen des guten Lebens in der Regel als<br />

individuell und subjektiv angesehen. Insbesondere in den vorherrschenden liberalen Ansätzen der<br />

Medizinethik werden Ansätze einer Ethik des guten Lebens in den Bereich persönlicher und damit<br />

privater Werthaltungen verschoben, die mit Blick auf medizinische Entscheidungen (fast) keiner<br />

Kritik von außen mehr zugänglich sind. Neben dem Patientenwillen hinsichtlich einer Behandlung<br />

wird bei medizinischen Entscheidungen zunehmend allgemein auf Lebensqualität als Zielgröße rekurriert.<br />

Hintergrund dieser Entwicklung ist der medizinische Fortschritt, der Begriff Lebensqualität<br />

dient dabei als eine erste Annäherung an die Fragen zwischen Lebens- und Leidensverlängerung.<br />

Durch das Instrumentarium der EbM erhält Lebensqualität einen objektivierbaren Charakter, der auf<br />

einer Liste von Grundfähigkeiten des Menschen – ähnlich wie in aktuellen tugendethischen Ansätzen<br />

– aufbaut. Fragen des guten Lebens werden damit, bei allen methodologischen Vorbehalten, wieder<br />

Teil medizinischer Behandlungsentscheidungen. Der Vortag geht von der Unterscheidung zwischen<br />

der Ethik des Guten und des Rechten aus und skizziert diese <strong>für</strong> den Bereich der Medizinethik.<br />

Darauf aufbauend wird die Funktion des Begriffs Lebensqualität <strong>für</strong> die Argumentation in beiden<br />

Bereichen untersucht. Die zunehmende Bedeutung von Lebensqualität als medizinischer Zielgröße<br />

verweist darauf, dass die Verschränkung der Fragen des Guten und Rechten in medizinethischen<br />

Fragen auch im Bereich von Behandlungsentscheidungen stärker reflektiert werden sollte. ◆<br />

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H I

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