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Briefe von H. F. Kohlbrügge an J. Wichelhaus - Licht und Recht

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Mein lieber, teurer Joh<strong>an</strong>nes!<br />

74.<br />

Welch ein heißes Feuer in 30 Tagen! Den 26. Juni kam ich mit meiner Anna nach Vi<strong>an</strong>en. Gerhard<br />

war g<strong>an</strong>z wohlauf 69 . Der alte Prediger in Vi<strong>an</strong>en kam zu mir, um mich zu bitten, am 29. für ihn<br />

in der Abendst<strong>und</strong>e zu predigen. Den 29. waren Gerhard <strong>und</strong> Matilde mit in dem Vormittags-Gottesdienst.<br />

Die Orgel <strong>und</strong> das Singen muß ihn zu sehr aufgeregt haben. Er war, wie ich ihn noch nie<br />

gesehen. Nach Tisch sorgte ich, daß alle sich legten. Gerhard schlief bald ein, aber für mich war es<br />

wie zum Ersticken. Ich blieb im Winde in dem Garten sitzen; hätte es der Prediger der Gemeinde<br />

nicht <strong>an</strong>gekündigt, so wäre ich da<strong>von</strong> gelaufen.<br />

Auf der K<strong>an</strong>zel war ich g<strong>an</strong>z ruhig, <strong>und</strong> als hätte ich mein Leben l<strong>an</strong>g vor meinem Volke gepredigt;<br />

gar keine Reminiszenzen. [Erinnerungen <strong>an</strong> früher Erlebtes.] Ich predigte über Genesis Kap. 3.<br />

Nach der Predigt, welche bei zwei St<strong>und</strong>en währte, waren alle wie geschlagen, als ich das Amen<br />

sprach; am Fuße der K<strong>an</strong>zel st<strong>an</strong>den zwei Prediger <strong>und</strong> der g<strong>an</strong>ze Kirchenrat, als ich die K<strong>an</strong>zel<br />

verließ. Der alte Prediger hielt eine kurze Anrede, welche ich kurz be<strong>an</strong>twortete, <strong>und</strong> alle drückten<br />

mir gerührt die H<strong>an</strong>d. Es wurden ungefähr fl. 600 kollektiert; sonst nur ein Gulden. Kol, Boissevain.<br />

de Clerque, Baron de Geer <strong>und</strong> etliche <strong>an</strong>dere waren in der Kirche. Sie hatten ein<strong>an</strong>der telegraphiert;<br />

ich hatte niem<strong>an</strong>den etwas wissen lassen als nur Kol.<br />

Bis Freitag, da ich ging, blieb Gerhard in dem aufgeregten Zust<strong>an</strong>d. O, wie viel ich da geweint<br />

<strong>und</strong> gebetet habe! In welcher Grube bef<strong>an</strong>d ich mich! Inzwischen war die g<strong>an</strong>ze Stadt auf den Beinen;<br />

alles erfüllt <strong>von</strong> der Predigt.<br />

Den 6. Juli predigte ich hier in der Abendst<strong>und</strong>e. Ich gedachte über Hebr. 12, Vs. 25 ff. zu predigen<br />

<strong>und</strong> hatte als Ges<strong>an</strong>g Psalm 102, Vs. 14 u. 15 aufgegeben. Da höre ich aber, daß durch ein Versehen<br />

des Küsters Dahlm<strong>an</strong>n die Gemeinde den 4. u. 5. Vers <strong>von</strong> Psalm 102 singt. Um nun in Übereinstimmung<br />

mit diesen Versen zu predigen, wurde ich gehalten, nun über Psalm 102 Vs 1-3 zu predigen.<br />

Die Predigt ist sehr vielen zum mächtigen Trost gewesen.<br />

Den 9. Juli bekam ich <strong>von</strong> meiner braven Mathilde ein Schreiben, daß Gerhard am 6. wieder<br />

g<strong>an</strong>z wohl geworden sei, munter <strong>und</strong> wacker.<br />

Den 7. war Boissevain mit seinem Söhnchen hier.<br />

Huber wollte nicht mehr essen; es wolle ihm doch alles nicht gelingen!<br />

69 K.’s. ältester Sohn Gerhard wohnte damals zu Vi<strong>an</strong>en. Er war seit dem 14. November 1855 verheiratet. Seine Frau,<br />

allein durch das Gefühl <strong>von</strong> <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Gerechtigkeit getrieben, wünschte, daß ihr Schwiegervater, der durch seine<br />

Feinde aus Holl<strong>an</strong>d verstoßen war, <strong>und</strong> dem m<strong>an</strong> die Mitgliedschaft in der niederländisch-reformierten Kirche nicht<br />

gönnte, in einer Gemeinde dieser Kirche die K<strong>an</strong>zel betreten dürfe, damit also das ihm zugefügte Unrecht wieder<br />

gut gemacht würde. Zu diesem Zweck setzte sie sich mit dem Prediger <strong>von</strong> Duyl zu Vi<strong>an</strong>en (damals dem ältesten<br />

Lehrer in der reformierten Kirche Holl<strong>an</strong>ds) in Verbindung <strong>und</strong> es gel<strong>an</strong>g ihr, diesen <strong>von</strong> der Notwendigkeit einer<br />

Wiederherstellung K.’s auf die oben gen<strong>an</strong>nte Weise zu überzeugen. So wurde das Gebet zu Gott <strong>und</strong> der<br />

Herzenswunsch <strong>von</strong> Dr. K. (<strong>und</strong> <strong>von</strong> vielen) erfüllt, als er am 29. Juni 1856 in der Kirche zu Vi<strong>an</strong>en zum ersten Mal<br />

in einer niederländisch-reformierten Gemeinde eine Abendpredigt hielt. [Siehe Lyst v<strong>an</strong> Werken usw. durch J. H. F.<br />

<strong>Kohlbrügge</strong> herausgegeben. Amsterdam, Scheffer & Co. 1887.] An demselben Tage zeigten sich bei seinem Sohn<br />

Gerhard, der bis dahin nur schwach <strong>und</strong> leidend gewesen war, infolge der tiefen Gemütserregung, die ihn ergriff, die<br />

deutlichen Spuren eines Nervenleidens, das später chronisch wurde <strong>und</strong> zu einer Gehirnkr<strong>an</strong>kheit sich entwickelte,<br />

die nach dem Tode seiner tapferen, <strong>von</strong> K. hochgeschätzten Frau (20. März 1878) die Familie zw<strong>an</strong>g, ihn am 27.<br />

Juni 1881 in eine private Heil- <strong>und</strong> Pflege<strong>an</strong>stalt nach Endenich bei Bonn zu bringen. Merkwürdig war es, daß<br />

Gerhard K. bis zu seinem am 13. April 1908 erfolgten Tode in allen geistlichen, den Glauben betreffenden Dingen<br />

stets g<strong>an</strong>z klar war <strong>und</strong> blieb, wie er sich denn auch l<strong>an</strong>ge Zeit am liebsten damit beschäftigte, deutsche Predigten<br />

seines Vaters ins Holländische zu übersetzen.<br />

Wir erwähnen dies hier, um zu zeigen, wie sich <strong>an</strong> K. das Wort Gottes durch Jesaias Kap. 48, Vs. 10 erfüllte:<br />

„Ich will dich auserwählt machen im Ofen des Elendes“, <strong>an</strong> welches die Anf<strong>an</strong>gsworte dieses <strong>Briefe</strong>s <strong>an</strong>klingen.<br />

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