Briefe von H. F. Kohlbrügge an J. Wichelhaus - Licht und Recht
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„Versuch <strong>und</strong> Probe eines ausführlichen Kommentars zur Leidensgeschichte“, als ein specimen eruditionis<br />
[Beweis <strong>von</strong> Gelehrsamkeit] herausgeben soll? Ich k<strong>an</strong>n es fortsetzen oder nicht, oder in<br />
g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>derer Form es später wieder aufnehmen, g<strong>an</strong>z wie ich will. Hengstenberg <strong>und</strong> <strong>an</strong>dere wünschen<br />
besonders, daß die Beweisführung über die Harmonie der Ev<strong>an</strong>gelien in Betreff der letzten<br />
Passahfeier <strong>an</strong>s <strong>Licht</strong> käme; dergleichen Fragen sind nun einmal in der heutigen Theologie außerordentlich<br />
wichtige Dinge, wie m<strong>an</strong> sich denn gewöhnlich um des Kaisers Bart streitet, <strong>und</strong> es würde<br />
mir einiges Ansehen geben, wenn m<strong>an</strong> merkt, daß ich in der gelehrten Literatur solcher Fragen fest<br />
im Bügel sitze. Auch in Berlin tut es immer gut, wenn m<strong>an</strong> etwas Gedrucktes vorzeigt, <strong>und</strong> ich spare<br />
dadurch 200 Taler aus meiner Sparbüchse, die ich für meine Einrichtung verwenden k<strong>an</strong>n. Bei<br />
dem Abschnitt meiner Arbeit, bei dem ich <strong>an</strong>gel<strong>an</strong>gt bin, k<strong>an</strong>n ich einer g<strong>an</strong>z passenden Weise<br />
schließen. Was denken Sie dazu?<br />
Ich gehe nun über zu dem Gespräch, das ich mit dem Geheimrat Bindewald über die rechtliche<br />
Stellung der Gemeinde gehabt habe. Dieser Rat hat die Sache unter Händen <strong>und</strong> hatte die Akten genau<br />
durchgenommen; ich will kurz nur die Hauptpunkte notieren, wie die Frage in Berlin liegt.<br />
Die Gemeinde hat sich konstituiert auf Gr<strong>und</strong> des königlichen Patentes vom 30. Mai 1847 82 . Dieses<br />
Patent soll damals erlassen sein größtenteils aus Furcht <strong>und</strong> Schwäche gegen den ungestümen<br />
Andr<strong>an</strong>g der freien Gemeinden; es wird deshalb <strong>von</strong> dem jetzigen Regime nicht gern gesehen. Um<br />
dasselbe unschädlich zu machen, d. h. um zu verhüten, daß auf dem religiösen Gebiet völlige Willkür<br />
Platz greife, hat m<strong>an</strong> in die Verfassung den Artikel B. aufgenommen, welcher lautet: „Die Religionsgesellschaften<br />
sowie die geistlichen Gesellschaften, welche keine Korporationsrechte haben,<br />
können diese <strong>Recht</strong>e nur durch besondere Gesetze (d. h. durch König <strong>und</strong> Kammern) erl<strong>an</strong>gen“.<br />
Wollten also z. B. die Baptisten oder <strong>an</strong>dere in Preußen als religiös-kirchliche Korporationen <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt<br />
sein so müßte das durch die Kammern geschehen. Was nun die Gemeinde bis dahin erl<strong>an</strong>gt<br />
hat, sind bloß bürgerliche <strong>Recht</strong>e, aber keine kirchliche. Dem Staat gegenüber ist also die Gemeinde<br />
bestätigt <strong>und</strong> <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt; der Staats- oder L<strong>an</strong>deskirche gegenüber ist aber ihre Stellung noch<br />
nicht rechtlich definiert. Daraus fließt also juristisch die Folgerung, daß die staatlich bestehende<br />
Kirche ihre Parochialrechte fortwährend geltend machen k<strong>an</strong>n. Die Behörden des Staates, die Regierung<br />
in Düsseldorf <strong>und</strong> der Minister selbst, sind nun für die Gemeinde, die kirchlichen Behörden<br />
aber, die Superintendenten, das Konsistorium in Koblenz <strong>und</strong> der Oberkirchenrat drängen den Minister<br />
mit ihren Ansprüchen.<br />
Nun machte Bindewald den Vorschlag, ob nicht die Gemeinde in die L<strong>an</strong>deskirche wieder eintreten<br />
könne. M<strong>an</strong> würde ihr ihr reformiertes Bekenntnis, ihre Gottesdienstordnung etc. gar<strong>an</strong>tieren,<br />
sie solle g<strong>an</strong>z den reformierten Charakter behalten etc. Der Oberkirchenrat würde zwar dagegen,<br />
Minister <strong>und</strong> König aber dafür sein. Ich <strong>an</strong>twortete, daß früher alles aufgeboten sei, um ein B<strong>an</strong>d<br />
mit der L<strong>an</strong>deskirche zu knüpfen, daß ich aber jetzt die Sache für unausführbar halte. Die Gemeinde<br />
würde sich wohl bereitwillig unter den Schutz des Königs <strong>und</strong> die Aufsicht des Ministers, nicht aber<br />
unter das Regiment des Oberkirchenrats stellen.<br />
Ob es nun ein passender Zeitraum ist, die Sache weiter zu verfolgen, oder ob m<strong>an</strong> sie gehen lassen<br />
soll, weiß ich nicht. Die jetzigen Berliner Zustände haben viel Ähnlichkeit mit denen <strong>von</strong> Papst<br />
<strong>und</strong> Kaiser zur Zeit Luthers. Staat <strong>und</strong> Kirche, Minister <strong>und</strong> Oberkirchenrat, Regierung <strong>und</strong> Konsistorium<br />
sind nie mitein<strong>an</strong>der einig, <strong>und</strong> will der eine verfolgen, so tritt der <strong>an</strong>dere in den Weg. Den<br />
Minister halte ich in jeder Beziehung für den reellsten Charakter, der die Sache einfach nimmt <strong>und</strong><br />
die <strong>Recht</strong>e respektiert; die Übrigen sind mehr oder minder Parteileute <strong>und</strong> Diplomaten.<br />
Die Gemeinde selbst muß sich meines Erachtens einfach <strong>und</strong> fest dar<strong>an</strong> halten:<br />
82 Siehe Anlage 2.<br />
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