Briefe von H. F. Kohlbrügge an J. Wichelhaus - Licht und Recht
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Schon damals improvisierte ich. Ich war verlobt mit meiner lieben Cato. So war ich denn g<strong>an</strong>z<br />
glücklich in meiner Gemeinde gewesen, bis ich durch die Ereignisse, die euch bek<strong>an</strong>nt sind, aus<br />
derselben ausgestoßen wurde. M<strong>an</strong> nahm mir mein Gehalt, <strong>und</strong> ein kleines Nebeneinkommen, welches<br />
ich dadurch hatte, daß ich zwei Knaben <strong>an</strong>gesehener Gemeindeglieder unterrichtete, wurde mir<br />
durch meine Amtsentsetzung auch entzogen. So hatte ich denn rein nichts, so viel wie hier auf meiner<br />
flachen H<strong>an</strong>d liegt. Oft hatte ich mit Geldm<strong>an</strong>gel zu kämpfen.<br />
Da war ich nun wieder im Jahre 1828 grade <strong>an</strong> diesem Sonntage in großer Not. Ich mußte in ein<br />
paar Tagen <strong>an</strong> meine Wirtin 40 Gulden bezahlen <strong>und</strong> hatte in meinem Beutel nichts als ein kleines<br />
Silberstückchen <strong>und</strong> zwei Kupfermünzen, aber ich klagte dem Herrn im Himmel meine Not.<br />
Als ich am Sonntag Morgen aufgest<strong>an</strong>den war, lese ich im Ev<strong>an</strong>gelium des Tages, wie der Herr<br />
Jesus in Jerusalem eingezogen war <strong>und</strong> da hieß es plötzlich in mir: „Gehe nach Zeist“, einem Ort,<br />
der zwei St<strong>und</strong>en <strong>von</strong> Utrecht entfernt liegt. Ich machte mich also auf <strong>und</strong> ging dorthin in die Brüdergemeinde.<br />
Auf dem Wege empf<strong>an</strong>d ich so die Nähe des Herrn, daß ich Himmel <strong>und</strong> Erde vergaß.<br />
Ich hörte d<strong>an</strong>n eine Predigt <strong>und</strong> legte beim Ausg<strong>an</strong>g, innerlich dazu getrieben, mein kleines Silberstückchen<br />
in den Gotteskasten. Nach der Predigt fragte mich ein Bruder: „He, Lieber, was ist wohl<br />
leichter, eine Verfolgung auszuhalten, wenn m<strong>an</strong> Geld hat, oder wenn m<strong>an</strong> keins hat?“ Ich <strong>an</strong>twortete:<br />
„Wie k<strong>an</strong>nst Du nur so fragen? Wenn m<strong>an</strong> keines hat, ist es leichter“.<br />
Gegen Abend kam jem<strong>an</strong>d zu mir <strong>und</strong> sagte, es sei ein Herr da, der mich zu sprechen wünsche.<br />
Es war ein Schweizer, der einer kleinen Sekte <strong>an</strong>gehörte, die m<strong>an</strong> Mömiers (zu deutsch „Mucker“)<br />
n<strong>an</strong>nte. Der Herr fragte mich, wer ich wäre, <strong>und</strong> ich erzählte ihm meine Geschichte. D<strong>an</strong>n fragte er<br />
mich weiter, <strong>von</strong> wem ich mehr gelitten hätte, <strong>von</strong> meinen Feinden oder <strong>von</strong> meinen Fre<strong>und</strong>en? Als<br />
ich ihm sagte, daß ich <strong>von</strong> meinen Fre<strong>und</strong>en mehr gelitten hätte, freute er sich dieser Antwort <strong>und</strong><br />
sagte, d<strong>an</strong>n sei meine Sache recht. Da auch er nach Utrecht wollte, ließ er seinen Wagen <strong>an</strong>sp<strong>an</strong>nen<br />
<strong>und</strong> nahm mich mit bis zu dem Amersfoortschen Weg. Es war aber schon spät am Abend, <strong>und</strong> wenn<br />
ich nicht mit ihm eine gute Strecke Weges auf dem Wagen gefahren wäre, so würde ich nicht mehr<br />
in die Stadt haben kommen können; denn nachts wurden die Stadttore geschlossen, <strong>und</strong> ich mußte<br />
für das Öffnen derselben mehr bezahlen als die zwei Cents, die wir übrig geblieben waren.<br />
Am <strong>an</strong>dern Tage besuchte mich jener Herr in meiner Wohnung. Diese war sehr klein. Ein sehr<br />
kleiner Tisch, vor dem eben ein Stuhl stehen konnte <strong>und</strong> d<strong>an</strong>n in der Ecke mein Bett. Auf meinem<br />
Nachttischchen lag mein Geldbeutelchen mit den paar Cents. Nachdem wir uns etwas unterhalten<br />
hatten, bat mich der Herr um ein paar Traktätchen, die ich ihm holte. D<strong>an</strong>n sagte er, ich möchte mit<br />
ihm auf den Pferdemarkt gehen, er müsse sich zwei Karrenpferde kaufen. Wir gingen hin. Dort forderte<br />
er mich auf, ich möchte ihm ein Paar Pferde aussuchen. Ich sagte, daß ich gar keinen Verst<strong>an</strong>d<br />
vom Pferdeeinkauf habe; Bücher könnte ich wohl bei einem Antiquar preiswert kaufen, aber keine<br />
Pferde. Er best<strong>an</strong>d aber auf seiner Forderung. Darauf sagte ich ihm, er solle die beiden uns zunächst<br />
stehenden Pferde nehmen, die 600 Gulden kosten würden, nur dürfe er mit dem Verkäufer nicht<br />
feilschen. Das tat der Herr d<strong>an</strong>n, <strong>und</strong> bald darauf trennten wir uns, <strong>und</strong> ich ging wieder in mein<br />
Stübchen.<br />
Als der Tag kam, <strong>an</strong> dem ich meine 40 Gulden bezahlen mußte, war ich sehr niedergeschlagen.<br />
Ich hatte kein Geld <strong>und</strong> wußte nicht, wo es hernehmen. Ich betete noch einmal inbrünstig zu Gott<br />
um Hilfe. In meinem Verzagen nahm ich d<strong>an</strong>n mein leeres Beutelchen <strong>und</strong> schüttete seinen armen<br />
Inhalt aus. Wie erstaunte ich aber, als ich außer meinen vier Cents fünf Goldstücke in demselben<br />
f<strong>an</strong>d! Ich stürzte sofort zu meiner Wirtin herunter mit der Frage: „Ist jem<strong>an</strong>d auf meinem Zimmer<br />
gewesen?“ Diese war g<strong>an</strong>z erschrocken, <strong>und</strong> sagte: nein, sie hätte sehr gut acht gegeben, daß niem<strong>an</strong>d<br />
herauf geg<strong>an</strong>gen wäre. Wie ich nur so Schlechtes denken könne; in ihrem Haus verkehrten<br />
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