1910-Der Bischof von Chur als Grundherr im Mittelalter
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Unter Kaiser Friedrich I. waren dann die Beziehungen zwischen den Bischöfen<br />
<strong>von</strong> <strong>Chur</strong> und der Krone wieder vorzügliche. Im Jahr 1170 empfing nämlich<br />
dieser Kaiser vom <strong>Bischof</strong> Egino <strong>von</strong> Ehrenfels für seinen Sohn Herzog<br />
Friedrich <strong>von</strong> Schwaben die advocatia curiensis (feodum advocatiae curiensis<br />
cum ipsa advocatia), die vorher Rudolf <strong>von</strong> Bregenz und Graf Rudolf<br />
Pfullendorf innegehabt, und befreite dafür den genannten <strong>Bischof</strong> unter<br />
Verleihung des Fürstentitels <strong>von</strong> allem Reichs- und Hof-<br />
S. 90: dienst 308 . Um die Natur dieser advocatia curiensis zu erklären, müssen wir<br />
etwas zurückgreifen.<br />
Mit dem in der Urkunde Ottos I. vom Jahr 988 genannten advocatus kann, wie<br />
wir gesehen haben 309 , nur der Immunitätsrichter (der frühere Sculthasius und<br />
spätere Viztum) gemeint sein. Die übrige Gerichtsbarkeit lag nachweislich noch<br />
in Händen der königlichen Grafen. Im 11. Jahrhundert aber ging die gräfliche<br />
Gerichtsbarkeit auf einen Reichsvogt über. Manches spricht dafür, dass nach<br />
dem Aussterben der rätischen Grafen ihre sämtlichen Rechte, die allerdings<br />
durch die verschiedenen Dienstherrschaften stark eingeschränkt worden waren<br />
und in der Hauptsache sich nur mehr auf die Cent <strong>Chur</strong> und die spätere<br />
Grafschaft Laax beziehen mochten, auf einen Reichsvogt übertragen wurden 310 .<br />
Falls man aber der Echtheit einer aus dem 15. Jahrhundert stammenden Kopie<br />
eines Strafgesetzes 311 , das <strong>Bischof</strong> Thietmar 1050 erlassen haben soll, trauen<br />
darf, muss angenommen werden, dass schon um diese Zeit - <strong>als</strong>o vor dem<br />
Erlöschen der rätischen Grafenfamilie - eine Reichsvogtei der Cent <strong>Chur</strong><br />
bestand, welche dem <strong>Bischof</strong> <strong>von</strong> <strong>Chur</strong> verliehen war 312 . Denn anders könnte<br />
man eine Kompetenz des genannten <strong>Bischof</strong>s zur Erlassung eines derartigen<br />
Strafgesetzes nicht ableiten. In diesem Fall belehnte der <strong>Bischof</strong>, da geistliche<br />
Herren nicht selbst Gerichtsbarkeit ausüben konnten, eine best<strong>im</strong>mte Familie<br />
mit dieser Reichsvogtei. Und dem jeweiligen Inhaber derselben<br />
S. 91: verlieh der König den Blutbann. Aus diesem letzten Grund lässt es sich<br />
erklären, dass auch ein vom <strong>Bischof</strong> belehnter Reichsvogt, wie aus manchen<br />
308 Mohr, Cod. dipl., I, Nr. 142.<br />
309 Siehe oben S. 63 f.<br />
310 Dieser Ansicht ist Tuor, Die Freien <strong>von</strong> Laax.<br />
311 Mohr, Cod. dipl., 3, Nr. 2, Ströbele, Beiträge, 23.<br />
312 Nach dieser Annahme müssen nach dem Verschwinden der rätischen Grafen die ihren letzten<br />
Vertretern noch zustehenden Befugnisse (hauptsächlich wohl Rechte in der Landschaft Laax) erst<br />
später zur Reichsvogtei <strong>Chur</strong> geschlagen oder einem besondern Reichsvogt überwiesen worden sein.