Jugendkultur Guide (pdf)
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JUGENDLICHE SUBKULTUREN<br />
151<br />
Ein Lebensgefühl voll bittersüßer Melancholie<br />
Während andere <strong>Jugendkultur</strong>en schrill, expressiv und aktiv die Welt erobern, geben<br />
sich Gothics in sich gekehrt und oft depressiv. Bittersüße Melancholie wird in der Gothic-Szene<br />
richtig inszeniert. Weltschmerz ist Teil ihrer Identität. Die traurigen Seiten<br />
der menschlichen Existenz sind Kult. Gothics sind Gefühlsmenschen mit einer Vorliebe<br />
für düstere Themen, Okkultes und auch Endzeit-Romantik. Mit der solariengebräunten<br />
Fit-for-Fun-Gesellschaft wollen sie ebenso wenig zu tun haben wie mit der oberflächlichen<br />
Clubbing-Jugend, die sich bei irgendwelchen schicken Partys für nichts sagenden<br />
Small-Talk hergibt. Während die einen mit Gleichgesinnten über ihre letzte Karibikreise,<br />
den nächsten Schiurlaub oder das neue Cabrio plaudern, bewegen sich die Gothics<br />
am anderen Ende des Themenspektrums. Der „Sinn des Lebens“, der „Tod“, die<br />
Intensität der eigenen Gefühle, das Leiden an einer Welt, in die man nicht hinein passt<br />
– das sind die zentralen Themen, mit denen sich die Gothics beschäftigen.<br />
In anderen Jugendszenen gilt es als peinlich, gefühlsschwangere Gedichte zu<br />
schreiben. In der Gothic-Szene steht pathetische Lyrik hingegen hoch im Kurs. Schreiben<br />
ist für Gothics eine noch immer zeitgemäße Möglichkeit, den eigenen Gefühlen<br />
Ausdruck zu verleihen. In ihren Gedichten und Texten orientieren sie sich häufig an literarischen<br />
Vorbildern aus der Romantik und dem Symbolismus. Literaten wie Edgar<br />
Allan Poe oder Charles Baudelaire sind in der Gothic-Szene Kult. Ihre Werke sind getragen<br />
von Traumhaft-Seltsamem, Geheimnisvollem und Groteskem. Und genau das<br />
fasziniert die Gothics. Genau darin finden sie sich mit ihrem eigenen Lebensgefühl<br />
wieder.<br />
Die melancholischen Gothics sind Denk-Menschen. Und wenn sie denken, tauchen<br />
sie gerne in abgründige Traumwelten ab. Depressive Verstimmungen sind für sie nicht<br />
etwas, das man immer gleich „wegtherapieren“ müsste. Depressive Verstimmungen<br />
sind im romantisch verklärten Denken der „Grufties“ etwas, das zum Leben dazu gehört<br />
und das man daher auch ausleben sollte. Sie baden oft richtig im Gefühl der eigenen,<br />
intensiv erlebten Melancholie.<br />
„Unzufrieden mit allen und unzufrieden mit mir, würde ich gern in der Stille und<br />
Einsamkeit der Nacht Erlösung finden und wieder etwas Stolz schöpfen.“ (Charles<br />
Baudelaire: Um ein Uhr nachts)