Ergebnisbericht 2010/11 - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Ergebnisbericht 2010/11 - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Ergebnisbericht 2010/11 - Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
50 SONDERBEITRÄGE | Was wären wir ohne DNA-Sequenzen?<br />
Bei aller Begeisterung <strong>für</strong> die rasante Entwicklung der<br />
reinen Datengenerierung, war dies über lange Zeit schon<br />
unsere permanente Mahnung – nicht zuletzt in meinem<br />
HZI-internen Papier von 2006 zur Bestandsaufnahme rund<br />
um Sequenzierung („Some Remarks Relating to Next<br />
Generation Genetic Analyzers“).<br />
Exkurs Förderpolitik International wäre die heutige<br />
Genom-basierte Forschung ohne massive öffentliche und<br />
private Investitionen schlichtweg nicht existent. Nachdem<br />
Mitte der 1980er Jahre unser Interesse an Genomforschung<br />
geweckt war, wurde sehr schnell klar, dass es substanzielle<br />
Fortschritte nur mit starken Förderungen geben könnte.<br />
Mein Papier „Technologieentwicklung und Genomforschung“<br />
wurde zur Basis eines Förderprogramms des deutschen<br />
Forschungsministeriums. Es lief über eine Reihe von Jahren<br />
und mobilisierte insgesamt rund 150 Millionen DM <strong>für</strong> die<br />
wissenschaftliche Landschaft in Deutschland. Ein Teil der<br />
hinter dieser und anschließenden Förderungen stehenden<br />
Logik erscheint jedoch heute zumindest als diskutabel. Die<br />
Logik lautete etwa so: Erst entwickeln wir Technologie,<br />
dann generieren wir Daten, dann interpretieren wir Daten,<br />
dann entwickeln wir Ansätze <strong>für</strong> neue Diagnosen und neue<br />
Therapien und schließlich vermarkten wir die Endresultate.<br />
Schön gedacht, aber weltfremd. In den meisten Spitzenländern<br />
wird bis zum heutigen Tag anders vorgegangen.<br />
Bestes Beispiel sind die USA und China. Dort wird durchgehend<br />
jedes Glied der Kette von der Technologieentwicklung<br />
bis zur medizinischen Anwendung substanziell gefördert.<br />
Speziell der Technologiesektor dürfte in den USA Milliardenumsätze<br />
erzielt haben. Frühe und richtungsweisende<br />
Entwicklungen in Deutschland stießen hierzulande leider<br />
nicht auf nachhaltiges Fördererinteresse. In Abwandlung<br />
des Titels dieses Aufsatzes darf man fragen: Wo könnten<br />
wir in Deutschland mit mehr DNA-Sequenzen sein?!<br />
Vom Nucleinsäurechemiker zum Sequenzierer Nach<br />
Abschluss meiner Diplomarbeit an der damaligen GMBF in<br />
Braunschweig schloss ich mich in Hamburg einem jungen<br />
und dynamischen Team zur Gensynthese an. Es ging<br />
hauptsächlich um den erwähnten DNA-Doppelstrang von 33<br />
Basen Länge, der die genetische Information <strong>für</strong> das<br />
Peptidhormon Angiotensin II trägt (3).<br />
Mit den in Hamburg gesammelten Erfahrungen und den<br />
erarbeiteten Entwicklungen bauten Ronald Frank und ich<br />
gemeinsam ab 1980 eine Arbeitsgruppe an der GBF auf.<br />
Innerhalb von drei Jahren hatten wir unser Fünfjahresziel<br />
erreicht. Wir synthetisierten Oligonucleotide und produzierten<br />
danach chemisch-enzymatisch längere Gene. Fertige<br />
DNA-Doppelstränge weckten unsere Neugier auf optimale<br />
Expressionssysteme. Exprimierte synthetische Gene ließen<br />
uns von künstlichen Proteinen träumen. Am Lernbeispiel<br />
von Proteaseinhibitor- und anderen Genen mussten wir<br />
erfahren, dass selbst bei diesen Proteinfamilien zu wenig<br />
Information über die Beziehung von gezielten Genvarianten<br />
zu biologisch aktiven Proteinen zur Verfügung stand. Es<br />
schien uns sinnvoll, in Richtung eines akzeptablen<br />
Algorithmus zu arbeiten. Dies konnte nach dem Stand der<br />
damaligen Technik nur über massenweise DNA-Sequenzierung,<br />
die der direkten Peptidsequenzierung haushoch<br />
überlegen war, versucht werden.<br />
Mit dem Kapitel oben zur Entwicklung der Sequenziertechnik<br />
ist klar, dass man nur an der Spitze mitarbeiten konnte,<br />
wenn man sich der Herausforderung von technischen<br />
Innovationen stellte. Wir versuchten dies durch die<br />
Entwicklung der „Shortmer“-Technologie sowie fortlaufende<br />
Robotik-, Bioinformatik- und Biochemie-Entwicklungen, die<br />
uns wie bei den Arbeiten mit Gerhard Kauer (4) und Igor<br />
Deyneko auch heute noch ein Alleinstellungsmerkmal<br />
geben. Als Konsequenz wurden die diversen Aktivitäten<br />
rund um die Sequenzierung spätestens ab Beginn der<br />
neunziger Jahre zu einem Schwerpunkt der späteren<br />
Abteilung Genomanalyse der GBF/des HZI. Glücklicherweise<br />
hatten wir sehr früh die Chance, uns in internationalen<br />
Sequenzierprojekten wie den von der EU geförderten<br />
Hefe- und Arabidopsis-Genomprojekten zu bewähren.<br />
Das ultimative Projekt war sicherlich das öffentliche<br />
Humangenomprogramm (5), an dem wir als eines von 16<br />
weltweiten Genomzentren teilnahmen. Dieses oft als<br />
Mondlandeprojekt der Bioforschung bezeichnete Programm<br />
erzielte ein weltweites Echo in den Medien und in der<br />
Gesellschaft wie kaum ein anderes aus den biologischen<br />
Wissenschaften. Vor ein paar Jahren gab es aus verschiedenen<br />
Quellen das Gerücht, unser internationales Konsortium<br />
sei <strong>für</strong> die Verleihung eines Nobelpreises vorgeschlagen.<br />
Nun ist erstens ein Gerücht ein Gerücht, und zweitens ist<br />
Helmut Kohl gerüchteweise schon einige Male <strong>für</strong> einen<br />
Nobelpreis vorgeschlagen worden, ohne dass er ihn bis<br />
heute erhalten hätte. Ich fand die Idee mit dem Nobel-Gerücht<br />
interessant. Als ich in den USA zuerst von einem<br />
britischen Offi ziellen davon erfuhr, war meine Spontanreaktion:<br />
„Brilliant! I would love to become 0.2 percent of a<br />
Nobel laureate“! Schließlich waren letztlich einige Hundert<br />
Wissenschaftler an dem Projekt beteiligt. Allerdings gibt es<br />
– anders als etwa <strong>für</strong> die Physik - <strong>für</strong> die Biowissenschaften<br />
die Regel, dass der Preis ohnehin nur an maximal drei<br />
Personen verliehen werden kann.