Falstaff Magazin Deutschland 04/2021
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KÜCHENZETTEL<br />
Gourmet-Autor<br />
SEVERIN CORTI<br />
DER TANZ<br />
DER GARNELEN<br />
Drunken Prawns ist ein Klassiker der Hongkong-Küche,<br />
der ganz einfach zu machen ist und toll schmeckt –<br />
aber eine ziemlich dunkle Geschichte hat.<br />
A<br />
ch herrje, schon wieder so<br />
ein Text, der wütende Reaktionen<br />
hervorrufen wird.<br />
Dabei ist das aktuelle<br />
Rezept eines, das sich die<br />
meisten Leser wohl noch so gern gefallen<br />
lassen – die knackigen und grätenfreien<br />
Garnelen gelten den Österreichern schließlich<br />
als bevorzugte Delikatesse aus dem<br />
Meer. Dass ihre Zucht in Südostasien (wo<br />
fast alle hierzulande verkauften Tiere herstammen)<br />
ein schmutziges, für die Umwelt<br />
nachhaltig verheerendes Business sein kann,<br />
steht auf einem anderen Blatt. Wildgarnelen<br />
aus nachhaltigem Fang kosten zwar mehr,<br />
sie schmecken aber auch unvergleichlich<br />
viel besser. Eine Alternative sind auch Bio-<br />
Zuchtgarnelen.<br />
Gar nicht harmlos ist aber die Idee, die<br />
hinter dem Rezept steht. Sie stellt dar, wie<br />
in vielen Regionen Ostasiens mit Tieren<br />
umgegangen wird, die für die Küche<br />
bestimmt sind. Während in unseren Breiten<br />
die Allgegenwart des Todes, die mit dem<br />
Konsum von Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten<br />
einhergeht, nach Kräften unter den<br />
Teppich gekehrt wird und Wegschauen als<br />
Vorbedingung für einen »gesunden Appetit«<br />
gilt, haben sie in China keine Scheu,<br />
der Wahrheit ins Antlitz zu blicken. Im<br />
Gegenteil: Ein chinesischer Markt wird<br />
dem westlichen Besucher auf den ersten<br />
Blick oft wie eine Tierhandlung erscheinen.<br />
Von Schweinen und Ferkeln über Enten<br />
und Hühner bis zu Fischen und Meeres-<br />
früchten wird das, was als qualitätsvolles<br />
Lebensmittel gilt, vorzugsweise lebendig<br />
dargeboten – und auf Wunsch vor Ort<br />
geschlachtet, gerupft, ausgenommen. Hat<br />
den erheblichen Vorteil, dass man dem Tier<br />
schon vorab ansieht, ob es aus guter, pfleglicher<br />
Haltung stammt. Und, wie wir seit<br />
mindestens einem Jahr wissen, den Nachteil,<br />
dass Viren auf diese Art wohl viel leichter<br />
von einer Spezies auf eine andere überspringen<br />
können – mit bekannt fatalen<br />
Konsequenzen.<br />
Bei den »betrunkenen Garnelen« geht es<br />
aber noch einmal um etwas anderes: Das<br />
südchinesische Originalrezept verlangt nicht<br />
nur, dass die Garnelen lebendig in Reiswein<br />
mariniert werden, die benebelten Krustentiere<br />
werden danach in die heiße Pfanne<br />
geworfen, auf dass sie ebenda ein<br />
»beschwingtes Tänzchen« hinlegen, wie es<br />
auf einer kantonesischen Website heißt. Man<br />
kann nur hoffen, dass die Wirbellosen durch<br />
den Alkohol so weggetreten sind, dass sie<br />
nicht mitbekommen, wie ihnen da geschieht.<br />
Abschließend noch zwei Einkaufstipps:<br />
Der dichte Krustentiergeschmack, den wir<br />
bei Garnelen so lieben, kommt unvergleichlich<br />
besser heraus, wenn die Tierchen mitsamt<br />
Panzer und Kopf gebraten werden.<br />
Und: beim Einkauf darauf achten, dass sie<br />
aus Salzwasserzucht stammen oder, noch<br />
besser, aus Wildfang. Garnelen aus Süßwasserzucht<br />
(»freshwater«) sind zwar deutlich<br />
günstiger, im Geschmack aber entscheidend<br />
weniger attraktiv.<br />
DRUNKEN PRAWNS<br />
wie in Hongkong<br />
(für 4 Personen)<br />
ZUTATEN<br />
24 mittelgroße Tigerprawns mit Kopf (aufgetaut)<br />
1 daumengroßes Stück Ingwer<br />
2 Knoblauchzehen<br />
10–12 getrocknete, kleine Chilischoten (Bird’s Eye)<br />
600 ml Mijiu (chinesischer Reiswein, aus dem<br />
Asia-Laden)<br />
1 EL Zucker<br />
Salz<br />
Pfeffer<br />
Pflanzenöl zum Braten<br />
1 Bund Koriander<br />
ZUBEREITUNG<br />
– Die Garnelen mit einem scharfen Messer entlang<br />
des Rückens so einritzen, dass der Darm (sieht<br />
wie eine dunkle Ader aus) freiliegt. Unter fließendem<br />
Wasser säubern, abtropfen lassen und<br />
die Garnelen für 30 Minuten in einer Schüssel<br />
mit dem Reiswein marinieren.<br />
– Ingwer schälen – die braune Haut lässt sich<br />
besonders sparsam mittels eines Teelöffels<br />
abschaben –, Knoblauch schälen und beides<br />
möglichst fein hacken.<br />
– Etwas Öl in einem Wok erhitzen, Ingwer und<br />
Knoblauch bei milder Hitze anrösten. Garnelen<br />
aus der Marinade heben, Hitze auf das Maximum<br />
erhöhen und die Krustentiere samt Chilis<br />
zugeben. Gut eine Minute bei größter Hitze<br />
und mehrmaligem Umrühren braten, dann<br />
Reiswein zugeben und, wenn die Küchensituation<br />
es erlaubt, kurz flambieren. Für eine Minute<br />
stark kochen lassen, mit Salz, Zucker und<br />
Pfeffer würzen. Brennheiß und mit Koriander<br />
bestreut servieren.<br />
Fotos: Johannes Kernmayer, Lena Staal<br />
136 falstaff jun <strong>2021</strong>