8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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8.1 <strong>Theorien</strong> <strong>als</strong> <strong>Strukturen</strong><br />
8<br />
<strong>Theorien</strong> <strong>als</strong> <strong>Strukturen</strong> I:<br />
Kuhns Paradigmen<br />
Die im vorausgegangenen Kapitel skizzierte kopemikanische Revolution legt die<br />
Vermutung nahe, dass sowohl der induktivistische <strong>als</strong> auch der f<strong>als</strong>ifikationistische<br />
Beitrag zur Wissenschaftstheorie nicht umfassend genug ist. Indem sie sich<br />
auf die Beziehung zwischen <strong>Theorien</strong> und Beobachtungsaussagen konzentrieren,<br />
scheint es ihnen nicht zu gelingen, der Komplexitat der Entwicklung bedeutender<br />
<strong>Theorien</strong> gerecht zu werden. Seit den 1960er Jahren ist es tiblich geworden, daraus<br />
den Schluss zu ziehen, dass ein angemessenerer Zugang zur Wissenschaft die<br />
Berucksichtigung der theoretischen Rahmenbedingungen, unter denen wissenschaftliche<br />
Aktivitaten stattfinden, erfordert. Die nachsten drei Kapitel beziehen<br />
sich auf drei einflussreiche Ansatze, die sich diesen Standpunkt zu Eigen gemacht<br />
haben. In Kapitel 13 werden wir die Gelegenheit haben, uns mit der Frage auseinanderzusetzen,<br />
ob ein „Theorie-dominiertes" Verstandnis von Wissenschaft zu weit<br />
geht.<br />
Ein Grund dafur, warum <strong>Theorien</strong> <strong>als</strong> <strong>Strukturen</strong> gesehen werden, lasst sich<br />
aus der Wissenschaftsgeschichte ableiten. Historische Studien zeigen, dass die<br />
Entwicklung und der Fortschritt der bedeutendsten Wissenschaften von induktivistischen<br />
und f<strong>als</strong>ifikationistischen Ansatzen nicht erfasst werden. Die kopemikanische<br />
Revolution hat uns daflir bereits <strong>als</strong> Beispiel gedient. Die Annahme wird<br />
dadurch gesttitzt, dass die Physik einige Jahrhunderte nach Newton unter newtonschen<br />
Rahmenbedingungen weitergefuhrt wurde, bis diese zu Beginn dieses Jahrhunderts<br />
durch die Relativitats- und die Quantentheorie infrage gestellt wurden.<br />
Das historische Argument ist jedoch nicht der einzige Grund dafur, dass es fur<br />
notwendig erachtet wurde, sich auf theoretische Rahmenbedingungen zu konzentrieren.<br />
Ein allgemeineres, philosophisches Argument ist eng verkniipft mit der<br />
Theorieabhangigkeit von Beobachtungen. In Kapitel 1 wurde deutlich gemacht,<br />
dass Beobachtungsaussagen in der Sprache einer Theorie formuliert sein miissen.<br />
Folglich sind die Aussagen und die Begriffe, die in einer Theorie verwendet werden,<br />
nur in dem MaBe prazise und informativ, wie es die Theorie ist, in deren<br />
Sprache sie formuliert wurden. So sind wir uns zum Beispiel sicherlich dariiber