8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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lehrt uns die F<strong>als</strong>ifikation einer kiihnen Vermutung oder die Bewdhrung einer<br />
behutsamen Vermutung nur wenig. Wenn eine kuhne Vermutung f<strong>als</strong>ifiziert wird,<br />
dann ist alles, was man daraus lemt, dass sich wieder eine verrtickte Idee <strong>als</strong> f<strong>als</strong>ch<br />
erwiesen hat. Die F<strong>als</strong>ifikation der Spekulation von Kepler, dass die raumliche<br />
Lage der Planetenbahnen durch die platonischen Korper erklart werden konne,<br />
bildet zum Beispiel nicht gerade einen der bedeutsamsten Meilensteine in der<br />
Entwicklung der Physik. Ebenso ist die Bewahrung von behutsamen Hypothesen<br />
nicht aufschlussreich. Derartige Bewahrungen beweisen lediglich, dass eine gut<br />
begrundete Theorie, die fur unproblematisch gehalten wurde, wieder einmal mit<br />
Erfolg Anwendung fand. So ware zum Beispiel die Bewahrung der Vermutung,<br />
dass sich Eisenstucke, die durch ein neues Verfahren aus Eisenerz gewonnen<br />
werden, ebenso wie andere Eisenstiicke ausdehnen, wenn sie erhitzt werden, von<br />
nur geringer Bedeutung.<br />
Der F<strong>als</strong>ifikationismus mochte Ad-hoc-Wy^othQSQn ausschlieBen und zu dem<br />
Entwerfen von kiihnen Hypothesen <strong>als</strong> potenzielle Verbesserungen f<strong>als</strong>ifizierter<br />
<strong>Theorien</strong> ermutigen. Diese kiihnen Hypothesen werden zu neuen iiberprufbaren<br />
Vorhersagen fuhren, die sich aus der urspriinglich f<strong>als</strong>ifizierten Theorie nicht<br />
ergeben. Wahrend die Tatsache, dass eine Hypothese die Moglichkeit zu neuen<br />
Uberprufungen eroffiiet, diese ftir die Forschung interessant macht, gilt sie jedoch<br />
solange nicht <strong>als</strong> eine Verbesserung der entsprechenden Theorie, zu deren Ersatz<br />
sie aufgestellt wurde, bis sie nicht wenigstens einigen Uberpriifixngen standgehalten<br />
hat. Dies ist gleichbedeutend mit der Forderung, dass eine neue und kiihne<br />
Theorie, die entworfen wird, erst dann <strong>als</strong> angemessener Ersatz einer f<strong>als</strong>ifizierten<br />
Theorie betrachtet werden kann, wenn sie einige neuartige Vorhersagen macht, die<br />
sich bewahrt haben. Viele wilde und vorschnelle Spekulationen iiberstehen nachfolgende<br />
Uberpriifungen nicht und konnen deshalb auch nicht <strong>als</strong> Beitrag zum<br />
Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis gewertet werden. Die gelegentlich<br />
vorkommende wilde und vorschnelle Spekulation, die zu einer neuartigen und<br />
unerwarteten Vorhersage fiihrt und sich dennoch bei Beobachtungen und im Experiment<br />
bewahrt, gerat dadurch zu einem Glanzpunkt in der Geschichte des Fortschritts<br />
der Wissenschaft. Die Bewahrung von neuartigen Vorhersagen, die sich<br />
aus kiihnen Vermutungen ergeben, ist fiir die f<strong>als</strong>ifikationistische Auffassung vom<br />
Fortschritt der Wissenschaft von groBer Bedeutung.<br />
6.4 Kiihnheit, Neuartigkeit und Hintergrundwissen<br />
Wir miissen dem, was wir iiber die Adjektive „kuhn" und „neuartig" in Bezug auf<br />
Hypothesen bzw. auf Vorhersagen gesagt haben, noch etwas hinzufugen. Es sind<br />
beides geschichtlich relative Begriffe. Was in einem bestimmten Stadium der<br />
Wissenschaftsgeschichte <strong>als</strong> eine kiihne Vermutung betrachtet wurde, braucht zu<br />
einem spateren Zeitpunkt nicht mehr langer kiihri zu sein. Als Maxwell 1864 seine<br />
„Dynamische Theorie des elektromagnetischen Feldes" vorstellte, handelte es sich<br />
um eine kuhne Vermutung. Die Vermutung war kiihn, well sie im Widerspruch zu<br />
<strong>Theorien</strong> stand, die zu dieser Zeit schon allgemein anerkannt waren. Diese <strong>Theorien</strong><br />
gingen von der Annahme aus, dass elektromagnetische Systeme (Magnete,