8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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stellten mathematischen Verfahren eine uberlegene positive Heuristik auf. Einige<br />
von Lakatos' Studenten fuhrten Studien mit dem Ziel durch, Lakatos' Methodologie<br />
hierdurch zu untersttitzen (s. Howson, 1976).<br />
Lakatos sah die Hauptstarke seiner Methodologie darin, dass sie half, die<br />
Geschichte der Wissenschaft zu schreiben. Der Wissenschaftshistoriker muss<br />
versuchen, Forschungsprogramme zu identifizieren, ihren harten Kern und den<br />
Schutzgiirtel zu charakterisieren und zu dokumentieren, auf welchem Weg sie<br />
fortschritten oder degenerierten. So kann deutlich werden, wie sich Wissenschaft<br />
im Wettkampf zwischen Programmen weiterentwickelt. Wie die Essays in<br />
Howson (1976) deutlich machen, muss zugestanden werden, dass Lakatos und<br />
seine Anhanger durch Studien, die so durchgeftihrt wurden, erfolgreich Licht in<br />
einige klassische Episoden der Geschichte der Physik brachten. Obwohl Lakatos'<br />
Methodologie eine Hilfe fiir Wissenschaftshistoriker bietet, intendierte er dies ftir<br />
Wissenschaftler selbst nicht. Diese Schlussfolgerung ist unvermeidlich vor dem<br />
Hintergrund der Art und Weise, wie Lakatos es ftir notwendig erachtete, den F<strong>als</strong>ifikationismus<br />
zu modifizieren, um die mit ihm verbundenen Probleme zu Uberwinden.<br />
<strong>Theorien</strong> sollen bei Auftreten einer F<strong>als</strong>ifikation nicht verworfen werden,<br />
weil der Grund dieser F<strong>als</strong>ifikation auBerhalb der Theorie liegen mag, und ein<br />
einziger Erfolg belegt mit Sicherheit nicht ftir alle Zeiten eine Theorie. Darin liegt<br />
der Grund daftir, dass Lakatos das Konzept der Forschungsprogramme vorstellt,<br />
denen Zeit gegeben wird, sich zu entwickeln und die nach einer Zeit der Degeneration<br />
voranschreiten oder nach anfanglichem Erfolg degenerieren konnen. In<br />
diesem Zusammenhang soil daran erinnert werden, dass auch die kopernikanische<br />
Theorie nach anfanglichem Erfolg fur etwa ein Jahrhundert degenerierte, bevor<br />
die Interessen von Galilei und Kepler sie wieder zum Leben erweckte. Wird dieser<br />
Schritt jedoch vollzogen, ist klar, dass sich aus Lakatos' Methodologie keine Hauruck-Ratschlage<br />
ableiten lassen, nach der Wissenschaftler ein Forschungsprogramm<br />
aufgeben oder ein bestimmtes Programm einem rivalisierenden vorziehen<br />
mtissen. Es ist nicht irrational oder notwendigerweise f<strong>als</strong>ch, wenn ein Wissenschaftler<br />
oder eine Wissenschaftlerin an einem degenerierten Programm weiterarbeitet,<br />
solange er oder sie denkt, dass es Moglichkeiten gibt, es wieder zum Leben<br />
zu erwecken. Nur auf lange Sicht - <strong>als</strong>o aus historischer Perspektive - kann<br />
Lakatos' Methodologie eingesetzt werden, um Forschungsprogramme sinnvoll<br />
miteinander zu vergleichen. In diesem Zusammenhang unterscheidet Lakatos<br />
zwischen der Bewertung von Forschungsprogrammen, was lediglich in historischer<br />
Hinsicht moglich ist, und Ratschlagen fiir Wissenschaftler, welche durch<br />
seine Methodologie nie gegeben werden sollten. „Es gibt keine unmittelbare Rationalitat<br />
in der Wissenschaft" wurde einer von Lakatos' Slogans, womit er ausdrucken<br />
wollte, dass nach seiner Meinung Positivismus und F<strong>als</strong>ifikationismus<br />
dort, wo sie dahingehend interpretiert werden, dass sie Kriterien fiir die Annahme<br />
und Zuruckweisung von <strong>Theorien</strong> zur Verfiigung stellen, zu viel fur sich in Anspruch<br />
nehmen.<br />
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