8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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erleichtem, sowie der Einbezug von Parallaxen und Uberschneidungen, um abschatzen<br />
zu konnen, was nah und was fern ist, ein Luxus, der in der Astronomie<br />
generell nicht verfugbar ist. Gleichzeitig war es Galilei mit Sicherheit nicht moglich,<br />
teleskopische Bilder von Planeten dadurch zu uberprufen, dass er sich den<br />
Planeten naherte, um eine Uberpriifung mit bloBem Auge vorzunehmen. Es gab<br />
allerdings Belege dafiir, dass Teleskope insofern fehlerbehaftete Daten erbrachten,<br />
<strong>als</strong> sie den Mond in einem anderen Verhaltnis vergroBern <strong>als</strong> Planeten und Sterne.<br />
Nach Feyerabend (1983) waren diese Schwierigkeiten so geartet, dass ein<br />
Ruckgriff auf Argumente nicht geeignet war, die Widersacher zu uberzeugen, die<br />
sowohl die kopernikanische Theorie <strong>als</strong> auch teleskopische Daten, die sich auf den<br />
Himmel bezogen, zuriickweisen wollten. Konsequenterweise musste Galilei auf<br />
Propaganda und Tricks zurtickgreifen.<br />
Andererseits gibt es Fernrohrbeobachtungen, die eindeutig fur<br />
Kopernikus sprechen. Galilei fuhrt sie <strong>als</strong> unabhangige Daten fiir<br />
Kopemikus an; in Wirklichkeit ist es aber so, dass eine widerlegte<br />
Auffassung - die Kopernikanische - eine gewisse Ahnlichkeit mit<br />
Erscheinungen hat, die sich aus einer anderen widerlegten Auffassung<br />
ergeben - namlich, dass Femrohrbilder getreue Abbilder des<br />
Himmels seien. Galilei behalt wegen seines Stils und seiner geschickten<br />
LFberredungsmethoden die Oberhand, weil er auch in Italienisch<br />
und nicht nur in Lateinisch schreibt und weil er sich an<br />
Leute wendet, die gefuhlsmaBig gegen die alten Ideen und die mit<br />
ihnen verbundenen MaBstabe der Gelehrsamkeit eingenommen sind.<br />
(Feyerabend, 1983, S. 184)<br />
Ist Feyerabends Interpretation von Galileis Methodologie richtig und typisch fur<br />
die Wissenschaft, haben klassische Positivisten, Induktivisten und F<strong>als</strong>ifikationisten<br />
ernstzunehmende Schwierigkeiten, sie mit ihren Ansatzen zu vereinbaren.<br />
Bei Lakatos' Ansatz ware das moglich, nach Feyerabend jedoch nur, weil dieser<br />
Ansatz so weit gefasst ist, dass beinahe alles untergebracht werden kann. Feyerabend<br />
hanselt Lakatos damit, dass er ihm, dem „Freund und Anhanger des Anarchismus",<br />
sein Buch „Wider den Methodenzwang" widmet und ihn <strong>als</strong>, wenn auch<br />
geheimen, Anhanger des Anarchismus willkommen heiBt. Die Art, wie Feyerabend<br />
die zwei <strong>Theorien</strong>gebaude, das aristotelische, mit einer sich nicht bewegenden<br />
Erde, untermauert durch Daten, die mit bloBem Auge gewonnen wurden,<br />
einerseits, und das kopernikanische, mit einer sich bewegenden Erde, gestiitzt<br />
durch teleskopische Daten andererseits, erinnert an Kuhns Portrat von Paradigmen<br />
<strong>als</strong> sich gegenseitig ausschlieBende Sichtweisen der Welt. Tatsachlich pragten sie<br />
beide unabhangig voneinander den Begriff „inkommensuraber', um die Beziehung<br />
zwischen zwei <strong>Theorien</strong> bzw. Paradigmen zu beschreiben, die mithilfe der<br />
Logik nicht verglichen werden konnen, weil zu einem solchen Vergleich theorieneutrale<br />
Tatsachen fehlen. Um Recht und Ordnung wieder herzustellen, vermeidet<br />
Kuhn Feyerabends anarchistische Schlussfolgerungen, indem er sich im Wesentlichen<br />
auf den sozialen Konsens beruft. Feyerabend (1974) weist Kuhns Appell an<br />
den sozialen Konsens der Scientific community zurtick, zum Teil, weil er der<br />
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