8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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che Theorie. Wenn ein Mensch ein Brot verzehrt, dann ist dies eine Uberpriifung<br />
der ursprunglichen Theorie, wohingegen Uberprtifungen der modifizierten Theorie<br />
auf den Verzehr eines Brotes beschrankt bleiben, das nicht zu der Menge des<br />
Brotes gehort, das in Frankreich zu derart verhangnisvollen Auswirkungen gefuhrt<br />
hatte. Die modifizierte Hypothese ist weniger f<strong>als</strong>ifizierbar <strong>als</strong> die urspriingliche<br />
Hypothese. Der F<strong>als</strong>ifikationist lehnt deshalb derartige nachtragliche Modifikationen<br />
ab.<br />
Das nachste Beispiel ist weniger tragisch, aber dafiir unterhaltsamer. Es ist<br />
ein Beispiel, welches sich auf einen tatsachlich zu Beginn des 17. Jahrhunderts<br />
ereigneten Disput zwischen Galilei und einem seiner Gegner, einem Anhanger<br />
von Aristoteles, bezieht. Nachdem Galilei den Mond sorgfaltig mithilfe seines<br />
gerade neu entwickelten Fernrohres beobachtet hatte, konnte er berichten, dass der<br />
Mond keineswegs eine glatte Kugel sei, sondern dass die Mondoberflache reich an<br />
Bergen und Kratem ist. Sein Gegner aus dem aristotelischen Lager musste zugeben,<br />
dass es sich in der Tat so verhalte, <strong>als</strong> er selbst die Beobachtungen wiederholte.<br />
Die Beobachtungen bedrohten jedoch eine Vorstellung, die fur viele<br />
Anhanger von Aristoteles grundlegend war, namlich dass alle Himmelskorper<br />
vollkommene Kugeln seien. Galileis Rivale verteidigte seine Theorie, die offensichtlich<br />
der Gefahr ausgesetzt war, f<strong>als</strong>ifiziert zu werden, auf eine Art, die in<br />
bedenklicher Weise der Definition von Ad-hoc-Modifikationen nahe kommt. Er<br />
behauptete, dass es auf dem Mond eine unsichtbare Substanz gebe, die die Krater<br />
fiillen und die Berge bedecken wtirde, sodass der Mond doch vollkommen kugelformig<br />
sei. Als Galilei wissen wollte, wie das Vorhandensein dieser unsichtbaren<br />
Substanz festgestellt werden konne, antwortete sein Gegner, dass es nun mal keine<br />
Moglichkeit gebe, sie nachzuweisen. Es besteht wohl nicht der geringste Zweifel<br />
dartiber, dass die modifizierte Theorie zu keinen neuen tiberprufbaren Konsequenzen<br />
flihrte und so fiir einen F<strong>als</strong>ifikationisten vollig unannehmbar sein musste. Es<br />
gelang dem gereizten Galilei, diese Unzulanglichkeit seines Gegners auf seine<br />
bekanntermaBen geistreiche Art aufzudecken. Er ktindigte an, dass er bereit sei,<br />
zuzugeben, dass es auf dem Mond eine unsichtbare Substanz gebe, die nicht nachgewiesen<br />
werden konne, aber er bestehe darauf, dass sie sich nicht auf die Art und<br />
Weise verteile, wie dies sein Gegner behauptete, sondern dass sie sich in Wirklichkeit<br />
auf den Bergspitzen anhaufen wtirde, sodass diese in Wirklichkeit um<br />
noch vieles hoher seien <strong>als</strong> sie durch das Fernrohr zu sein schienen. Galilei gelang<br />
es, seinen Gegner in dem fruchtlosen Spiel des Erfindens von Ad-hoc-Modifikationen<br />
zu iiberlisten.<br />
Es soil noch ein weiteres Beispiel einer Hypothese aus der Geschichte der<br />
Wissenschaft angefuhrt werden, die moglicherweise auch ad hoc entstanden ist.<br />
Vor Lavoisier war die Phlogistontheorie die anerkannte Theorie der Verbrennung.<br />
Nach dieser Theorie schieden Stoffe, wenn sie verbrannten. Phlogiston aus. Diese<br />
Theorie wurde durch die Entdeckung gefahrdet, dass viele Stoffe nach der Verbrennung<br />
an Gewicht zunehmen. Eine Moglichkeit, die auf der Hand lag, war,<br />
sich vorzustellen, dass Phlogiston ein negatives Gewicht hat. Wenn diese Hypothese<br />
ausschlieBlich dadurch uberpriift werden konnte, indem Stoffe vor und nach<br />
der Verbrennung gewogen werden, dann ware sie ad hoc. Sie wtirde zu keinen<br />
neuen Uberprtifungen flihren.<br />
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