8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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die den Schutzgtirtel darstellen, sollen dagegen modifiziert werden, um eine Obereinstimmung<br />
zwischen den Vorhersagen eines Programms und den Ergebnissen<br />
von Beobachtungen und Experimenten herzustellen. Zum Beispiel wurde der<br />
Schutzgtirtel des kopernikanischen Programms dahingehend modifiziert, dass eliptische<br />
Umlaufbahnen durch Kopernikus' Epizykel ersetzt wurden, und mit bloBem<br />
Auge gewonnene durch teleskopische Daten. Auch die Anfangsbedingungen<br />
wurden schlieBlich durch Anderungen der Schatzungen des Abstands von Stemen<br />
zur Erde und durch die Annahme neuer Planeten verandert. Bei der Charakterisierung<br />
von Forschungsprogrammen machte Lakatos groBziigig Gebrauch von dem<br />
Begriff „Heuristik". Eine Heuristik ist eine Menge von Regeln oder Hinweisen zur<br />
Unterstutzung von Entdeckungen bzw. Erfindungen. Zum Beispiel konnte nachfolgender<br />
Satz Teil einer Heuristik zur Losung von Kreuzwortratseln sein: „Beginne<br />
mit Anhaltspunkten, die Antworten mit kurzen Wortem verlangen und mache<br />
weiter mit solchen, die lange Worter benotigen". Lakatos unterteilte Richtlinien<br />
zur Arbeit in Forschungsprogrammen in negative und positive Heuristiken. Die<br />
negative Heuristik spezifiziert, was ein Wissenschaftler nicht tun soil. Wie wir<br />
bereits gesehen haben, sind Wissenschaftler zum Beispiel gehalten, nicht den<br />
harten Kern eines Programms, an dem sie gerade arbeiten, zu modifizieren. Modifiziert<br />
ein Wissenschaftler den harten Kern, ist er bereits aus dem Programm ausgestiegen.<br />
So war das bei Tycho Brahe in Bezug auf das kopemikanische Programm<br />
der Fall, <strong>als</strong> er annahm, dass nur die Planeten, nicht jedoch die Erde die<br />
Sonne umkreist, und dass die Sonne die Erde umkreist.<br />
Die positive Heuristik eines Programms, die festlegt, was ein Wissenschaftler<br />
innerhalb eines Programms tun soil, statt zu sagen, was er nicht tun soil, ist schwerer<br />
zu charakterisieren <strong>als</strong> die negative Heuristik. Die positive Heuristik bietet<br />
Richtlinien dafiir, wie der harte Kern erganzt und der resultierende Schutzgtirtel<br />
verandert werden soil, damit ein Programm zu Erklarungen und Vorhersagen von<br />
beobachtbaren Phanomenen fuhrt. Dazu Lakatos (1974, S. 131):<br />
Die positive Heuristik besteht aus einer partiell artikulierten Reihe<br />
von Vorschlagen oder Hinweisen, wie man die ,widerlegbaren Fassungen'<br />
des Forschungsprogramms verandem und entwickebi soil<br />
und wie der ,widerlegbare' Schutzgtirtel modifiziert und raffmierter<br />
gestaltet werden kann.<br />
Die Entwicklung eines Forschungsprogramms beinhaltet nicht nur das Hinzuziehen<br />
geeigneter Hilfshypothesen, sondem auch die Entwicklung geeigneter mathematischer<br />
und experimenteller Techniken. Es war zum Beispiel beim kopernikanischen<br />
Programm von Anfang an klar, dass fur eine Weiterentwicklung und<br />
ausfiihrliche Anwendung des Programms geeignete mathematische Techniken<br />
erft)rderlich sind, um epizyklische Bewegungen adaquater zu beschreiben, sowie<br />
verbesserte Techniken der astronomischen Beobachtung.<br />
Lakatos veranschaulicht den Begriff der positiven Heuristik mit der Darstellung<br />
der Anfange der newtonschen Gravitationstheorie (vgl. Lakatos 1974, S.<br />
132f). Hier bestand die positive Heuristik aus der Idee, dass man mit einfachen,<br />
idealisierten Fallen beginnen solle, und nachdem diese gemeistert sind, zu kompli-<br />
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