8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
116<br />
beziiglich des Problems, dass er, anders <strong>als</strong> Lakatos, leugnete, dass ein Vergleich<br />
mit der Wissenschaftsgeschichte ein legitimer Weg der Argumentation fiir eine<br />
Wissenschaftsphilosophie sei.<br />
Ich bin der Meinung, dass das Wesentliche der von Lakatos in seinem Text<br />
von 1978 (dt. 1982b) beschriebenen Position Folgendes ist: Es gibt Episoden der<br />
Wissenschaftsgeschichte, die ohne Probleme und ohne anspruchsvolle Wissenschaftsphilosophien<br />
<strong>als</strong> progressiv erkannt werden konnen. Leugnet jemand, dass<br />
Galileis Physik einen Fortschritt gegeniiber der aristotelischen oder dass Einstein<br />
einen Fortschritt gegeniiber Newton darstellt, verwendet er oder sie einfach den<br />
Begriff der Wissenschaft anders <strong>als</strong> allgemein tiblich. Setzt man sich mit der Frage<br />
auseinander, wie Wissenschaft am besten kategorisiert werden kann, benotigt man<br />
zur Formulierung dieser Frage einige vor-wissenschaftliche Vorstellungen davon,<br />
was Wissenschaft ist. Diese vor-wissenschaftlichen Vorstellungen beinhalten die<br />
Fahigkeit, klassische Beispiele zentraler wissenschaftlicher Erft)lge wie die von<br />
Galilei und Einstein zu erkennen. Erst vor dem Hintergrund dieser Vorannahmen<br />
kann geft)rdert werden, dass jede Wissenschaftsphilosophie oder -methodologie<br />
mit diesen kompatibel sein muss. Das bedeutet, dass jede Wissenschaftsphilosophie<br />
in der Lage sein muss, zu erfassen, in welchem Sinne Galileis Erft)lge in der<br />
Astronomic und der Physik im GroBen und Ganzen bedeutende Fortschritte darstellten.<br />
Erbringt die Wissenschaftsgeschichte, dass Galilei den Begriff der beobachtbaren<br />
Tatsachen neu defmierte und dass er sich bezuglich seiner Mechanik<br />
eher auf Gedankenexperimente verlieB <strong>als</strong> auf tatsachlich durchgeftihrte Experimente,<br />
dann stellt dies bestimmte philosophische Schulen vor ein Problem. Betroffen<br />
sind die Schulen, die wissenschaftlichen Fortschritt in dem Sinne <strong>als</strong> kumulativ<br />
darstellen, <strong>als</strong> er durch das Sammeln beobachtbarer Tatsachen zustandekommt,<br />
von denen dann vorsichtige Generalisierungen abgeleitet werden. Lakatos fruhe<br />
Version seiner Methodologie von Forschungsprogrammen kann dahingehend kritisiert<br />
werden, dass dort ein Begriff der neuartigen Vorhersagen benutzt wird, der<br />
es unmoglich macht zu erfassen, in welchem Sinne Kopernikus Astronomic progressiv<br />
war.<br />
Mittels dieser Argumentationslinie fahrt Lakatos fort, positivistische und f<strong>als</strong>ifikationistische<br />
Methodologien zu kritisieren, weil sie einige klassische Episoden<br />
wissenschaftlichen Fortschritts nicht erklaren konnen. Im Gegensatz dazu<br />
argumentiert er, dass sein eigener Beitrag diese Schwache nicht aufweist. Bezogen<br />
auf weniger wichtige Episoden der Wissenschaftsgeschichte kann sich Lakatos<br />
oder einer seiner Anhanger Episoden herauspicken, die Historiker und Philosophen<br />
vor Ratsel gestellt haben, und zeigen, wie sie aus dem Blickwinkel der Methodologie<br />
von Forschungsprogrammen erklart werden konnen. Zum Beispiel<br />
waren einige von der Tatsache verwirrt, dass Thomas Young, <strong>als</strong> er im filihen 19.<br />
Jahrhundert die Wellentheorie des Lichts vorstellte, nur wenig Anhanger fand,<br />
wahrend die zwei Dekaden spater von Fresnel entwickelte Version auf breite<br />
Akzeptanz stieB. In historischer Hinsicht unterstUtzt Worrall (1976) Lakatos'<br />
Position, indem er zeigt, dass historisch belegt werden kann, dass Youngs Theorie<br />
auf nattirlichem (im Gegensatz zu einem sehr arrangierten) Weg nicht in strengem<br />
Sinne experimentell belegt werden konnte. Bei Fresnel dagegen war dies der Fall.<br />
Gleichzeitig wies Fresnels Version der Wellentheorie durch die von ihm vorge-