8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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12.3 Subjektiver Bayesianismus<br />
Bayesianer sind sich uneins beziiglich der fundamentalen Frage nach der Natur<br />
der betroffenen Wahrscheinlichkeiten. Auf der einen Seite haben wir die „objektiven"<br />
Bayesianer. Sie vertreten den Standpunkt, dass Wahrscheinlichkeiten auf der<br />
Grundlage der objektiven Situation durch eine rationale Instanz bestimmt werden<br />
sollten. Es soil versucht werden, den Kern ihrer Position am Beispiel des Pferderennens<br />
deutlich zu machen. Angenommen, vor uns liegt eine Liste von Pferden,<br />
die sich an einem Rennen beteiligen, von denen wir jedoch keinerlei Informationen<br />
haben. Dann konnte, auf der Grundlage einer Art „Prinzip der Indifferenz"<br />
argumentiert werden, dass der einzige rationale Weg, jedem Pferd eine Wahrscheinlichkeit<br />
zu gewinnen, zuzuschreiben, darin liegt, die Wahrscheinlichkeit auf<br />
alle Pferde gleich zu verteilen. Sind diese „objektiven" Priorwahrscheinlichkeiten<br />
einmal festgelegt, bestimmt das bayessche Theorem, wie die Wahrscheinlichkeiten<br />
im Lichte von Belegen modifiziert werden miissen. Daraus resultieren die<br />
Posteriorwahrscheinlichkeiten, die die genannte rationale Instanz akzeptiert. Das<br />
zentrale, allgemein bekannte Problem dieses Ansatzes fiir den Bereich der Wissenschaft<br />
liegt in der Frage, wie Hypothesen objektive Priorwahrscheinlichkeiten<br />
zugeschrieben werden konnen. Es erscheint notwendig, alle moglichen Hypothesen<br />
zu einem Gegenstandsbereich aufzulisten und ihnen Wahrscheinlichkeiten<br />
zuzuweisen. Nach dem Prinzip der Indifferenz konnte das zum Beispiel fur alle<br />
die gleichen sein. Aber woher soil solch eine Liste kommen? Es kann durchaus<br />
angenommen werden, dass die Zahl moglicher Hypothesen zu einem beliebigen<br />
Bereich unendlich ist, was fur jede dieser Hypothesen eine Wahrscheinlichkeit<br />
von Null bedeuten wtirde. Das bayessche Theorem konnte somit nicht angewendet<br />
werden. Alle <strong>Theorien</strong> haben eine Wahrscheinlichkeit von Null, und Popper tragt<br />
den Sieg davon. Wie ist es moglich, zu einer endlichen Liste von Hypothesen zu<br />
gelangen, die die objektive Verteilung von Wahrscheinlichkeiten ungleich Null<br />
ermoglicht? Nach meinem Dafurhalten kann dieses Problem nicht gelost werden,<br />
und die verfiigbare Literatur vermittelt den Eindruck, dass sich die meisten<br />
Bayesianer dieser Sichtweise anschlieBen. Wir wollen uns daher dem „subjektiven"<br />
Bayesianismus zuwenden.<br />
Fur subjektive Bayesianer stellen die Wahrscheinlichkeiten, auf die sich das<br />
bayessche Theorem bezieht, subjektive Uberzeugungsgrade dar. Sie argumentieren,<br />
dass auf dieser Basis eine in sich stimmige Interpretation der Wahrscheinlichkeitstheorie<br />
entwickelt werden kann und dass diese Interpretation dariiber hinaus<br />
der Wissenschaft vollstandig gerecht wird. Telle ihrer logischen Grundlage konnen<br />
durch einen Riickgriff auf die am Anfang dieses Kapitels gegebenen Beispiele<br />
deutlich gemacht werde. Wie stark auch immer die Argumente dafur sind, alien<br />
Hypothesen und <strong>Theorien</strong> Null-Wahrscheinlichkeiten zuzuweisen, es stimmt einfach<br />
nicht, so die subjektiven Bayesianer, dass Menschen im Allgemeinen und<br />
Wissenschaftler im Besonderen gut bestatigten <strong>Theorien</strong> Null-Wahrscheinlichkeiten<br />
zuweisen. Die Tatsache, dass ich eine Reise in die Berge gebucht habe, um<br />
den Kometen Halley zu beobachten, legt zumindest in meinem Fall nahe, dass sie<br />
Recht haben. Bei ihrer Arbeit gehen Wissenschaftler beziiglich vieler Gesetze<br />
davon aus, dass sie richtig sind. Der unhinterfragte Einsatz des Gesetzes zur Bre-