8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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Das AusmaB, in dem nach Howsons und Urbachs Analyse Uberzeugungen<br />
von Priorwahrscheinlichkeiten abhangen, stellt ein anderes Problem dar. Setzt<br />
man voraus, dass ein Wissenschaftler stark genug an eine Theorie glaubt, um an<br />
ihr zu arbeiten (der bayessche Ansatz bietet keine Moglichkeit, Uberzeugungen<br />
beliebiger Starke zu vermeiden), so mag es erscheinen, dass diese Uberzeugung<br />
durch keine gegenteiligen Befunde erschtxttert werden kann, wie stark und weitreichend<br />
auch immer sie sein mogen. In der Tat wird dieser Aspekt durch die Studie<br />
zu Front illustriert, dieselbe Studie, die Howson und Urbach zur Unterstiitzung<br />
ihrer Position heranziehen. Erinnern wir uns daran, dass die Proutianer von einer<br />
Priorwahrscheinlichkeit von 0,9 fur ihre Theorie, nach der Atomgewichte das<br />
Vielfache des Atomgewichts von Wasserstoff besitzen, ausgingen und eine Priorwahrscheinlichkeit<br />
von 0,6 dafur annahmen, dass das die Messungen des Atomgewichts<br />
ausreichend genaue Wiedergaben des tatsachlichen Atomgewichts darstellen.<br />
Die Posteriorwahrscheinlichkeiten, die vor dem Hintergrund des Wertes 35,83<br />
fiir Chlor berechnet wurden, lagen bei 0,878 fiir Prouts Theorie und 0,073 fur die<br />
Annahme, dass die Experimente reliabel sind. Damit batten die Proutianer Recht,<br />
an ihrer Theorie festzuhalten und die Untersuchungsbefunde <strong>als</strong> f<strong>als</strong>ch zuriickzuweisen.<br />
Hinter Prouts Hypothese stand ursprunglich, dass eine Reihe anderer<br />
Atomgewichte <strong>als</strong> das von Chlor nahemngsweise ganzzahlige Werte aufwies,<br />
wobei jedoch diese Atomgewichte mit genau den Techniken bestimmt wurden, die<br />
die Proutianer <strong>als</strong> so wenig reliabel beurteilten, dass sie ihnen lediglich eine Wahrscheinlichkeit<br />
von 0,073 zuwiesen! Zeigt das nicht, dass Wissenschaftler, wenn<br />
sie nur dogmatisch genug sind, jeden ungtinstigen Befimd ausgleichen konnen?<br />
Sofem dies der Fall ist, hat der subjektive Bayesianismus keine Moglichkeit,<br />
solche Aktivitaten <strong>als</strong> schlechte wissenschaftliche Praxis zu identifizieren. Die<br />
Priorwahrscheinlichkeiten konnen nicht beurteilt werden, sie miissen einfach <strong>als</strong><br />
gegeben hingenommen werden. Wie Howson und Urbach (1989, S. 273) selbst<br />
betonen, „stehen sie auch nicht in der Verpflichtung, die Methoden mit denen<br />
Priorwahrscheinlichkeiten bestimmt werden, zu beurteilen".<br />
Bayesianer scheinen die poppersche Behauptung, die Wahrscheinlichkeiten<br />
aller <strong>Theorien</strong> seien Null, insofem widerlegen zu konnen, <strong>als</strong> sie diese Wahrscheinlichkeiten<br />
mit den je spezifischen Uberzeugungsgraden von Wissenschaftlern<br />
gleichsetzen. Dennoch ist die bayessche Position nicht so einfach, da Bayesianer<br />
mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten miissen, die nicht direkt zuganglich sind<br />
und daher nicht mit den aktuell herrschenden Uberzeugungen gleichgesetzt werden<br />
konnen. Betrachten wir zum Beispiel die Frage der Relevanz von in der Vergangenheit<br />
erbrachten Befunden. Wie konnen die Beobachtungen der Umlaufbahn<br />
des Merkurs <strong>als</strong> Bestatigung der einsteinschen Relativitatstheorie herangezogen<br />
werden, wo diese Beobachtungen der Theorie doch um Jahrzehnte vorausgingen?<br />
Um die Wahrscheinlichkeit der einsteinschen Theorie im Lichte dieser Befunde zu<br />
berechnen, muss der subjektive Bayesianismus unter anderem ein MaB fiir die<br />
Wahrscheinlichkeit bereitstellen, die ein Anhanger Einsteins der Wahrscheinlichkeit<br />
der Umlauft}ahn vom Merkur ohne Kenntnis der einsteinschen Theorie zuweisen<br />
wtirde. Diese Wahrscheinlichkeit ist kein MaB ftir den LFberzeugungsgrad, den<br />
ein Forscher aktuell hat, sondem ein MaB fiir den LFberzeugungsgrad, den er hatte,<br />
wenn er nicht den Kenntnisstand besaBe, iiber den er tatsachlich verfligt. Um es