8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2
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Thomson entwarf in Gedanken einen Kreisprozess, bei dem Wasser von 0° C<br />
Warme entzogen wurde, wodurch es in Eis von 0° C uberging. Es schien so, <strong>als</strong><br />
ware eine solche Maschine in der Lage, dem Wasser Warme zu entziehen und<br />
diese vollstandig in Expansionsarbeit umzuwandeln, was einem Perpetuum mobile<br />
zweiter Art entsprache, das der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ausschlieBt.<br />
Thomson stellte fest, dass dieser inakzeptable Schluss gegenstandslos ist, wenn<br />
angenommen wird, dass der Gefrierpunkt mit ansteigendem Druck sinkt.<br />
Der Aspekt dieses Falls, der hier betont werden soil, ist, dass Thomson seine<br />
Vorhersagen in Unkenntnis der Details kausaler Prozesse auf molekularer Ebene<br />
machte. Ein charakteristisches Merkmal und eine der Hauptstarken der Thermodynamik<br />
ist, dass sie sich unabhangig von den Details der zugrundeliegenden kausalen<br />
Prozesse auf der makroskopischen Ebene anwenden lassen. Genau dieses<br />
Merkmal verhindert, dass die thermodynamischen Gesetze <strong>als</strong> kausal bezeichnet<br />
werden konnen.<br />
Die Probleme der kausalen Sichtweise horen hier nicht auf. Das Verhalten<br />
eines mechanischen Systems kann verstanden und vorhergesagt werden, indem die<br />
Krafte, die auf jede Komponente des Systems einwirken, spezifiziert und die<br />
newtonschen Gesetze genutzt werden, um die Entwicklung des Systems zu verfolgen.<br />
Im Rahmen dieses Ansatzes konnen die newtonschen Gesetze <strong>als</strong> kausale<br />
Gesetze interpretiert werden, die die Disposition von Objekten beschreiben, spezifische<br />
Krafte auszutiben oder auf sie zu reagieren. Das ist jedoch nicht die einzige<br />
Moglichkeit des Umgangs mit mechanischen Systemen. Die mechanischen Gesetze<br />
konnen auch in einer Form formuliert werden, welche die Energie statt der<br />
Kraft zur primaren GroBe macht. In der hamiltonschen und lagrangeschen Formulierung<br />
der Mechanik, wo dieser Ansatz zugrundegelegt ist, ist lediglich nach<br />
Ausdrucken fur die potenzielle und die kinetische Energie eines Systems gefragt,<br />
die unabhangig von der speziellen Wahl des Koordinatensystems sind, in dem<br />
man die Teilchen beschreibt. Die Weiterentwicklung eines Systems kann dann<br />
vollstandig vorausgesagt werden, wenn diese Ausdriicke in die hamiltonsche oder<br />
lagrangesche Bewegungsgleichung eingesetzt werden, was ohne die detaillierte<br />
Kenntnis der beteiligten kausalen Prozesse moglich ist.<br />
James Clerk Maxwell (1965, S.783f), der versuchte seiner elektromagnetischen<br />
Theorie eine Lagrange entsprechende Form zu geben, illustriert diesen<br />
Punkt auf charakteristische Weise. Stellen wir uns einen Glockenturm mit einer<br />
komplizierten, durch an den Glocken befestigte Seile betriebene Maschinerie vor,<br />
die in den weiter unten befmdlichen Raum der Person reichen, die die Glocken<br />
bedient. Nehmen wir daruber hinaus an, dass die Anzahl der Seile der Anzahl der<br />
Freiheitsgrade des Systems entspricht. Das Potenzial und die kinetische Energie<br />
des Systems, das eine Funktion der Position und Geschwindigkeit der Seile ist,<br />
kann durch Experimente mit den Seilen festgestellt werden. Haben wir diese<br />
Funktionen gefunden, konnen wir sie in die lagrangesche Formel des Systems<br />
einsetzen. Ausgehend von der Position und der Beweglichkeit der Seile zu einem<br />
beliebigen Zeitpunkt ist es dann moglich, die Position und Beweglichkeit der Seile<br />
zu einem anderen Zeitpunkt zu erhalten. Wir benotigen dazu kein Wissen tiber die<br />
Details der Kausalitaten dessen, was auf dem Glockenturm passiert. Die lagrangesche<br />
Formel stellt kein kausales Gesetz dar.