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8 Theorien als Strukturen I - Moodle 2

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Seit der Antike sind Besonderheiten der Planetenbewegungen bekannt, die<br />

erst mit dem Aufkommen der kopemikanischen Theorie hinreichend erklart werden<br />

konnten. Dies sind zum Beispiel die Rucklaufigkeit der Planetenbewegungen<br />

und die Tatsache, dass Planeten am hellsten erscheinen, wenn sie sich zurtickbewegen,<br />

sowie die Tatsache, dass sich Venus und Merkur nie weit entfemt von der<br />

Sonne zeigen. Mit der Annahme, dass sich die Erde zusammen mit den Planeten<br />

um die Sonne dreht und dass die Umlaufbahnen von Merkur und Venus innerhalb<br />

der Erdbahn liegen, ergeben sich diese Merkmale von selbst. Im Rahmen der<br />

ptolemaischen Theorie konnten sie dagegen nur durch speziell dafur eingefuhrte<br />

Epizykel erklart werden. Lakatos stimmt mit Kopemikus und wohl mit den meisten<br />

von uns darin uberein, dass dieser Sachverhalt ein Hauptmerkmal fur die<br />

tJberlegenheit des kopemikanischen tiber das ptolemaische System darstellt. Da<br />

diese Phanomene jedoch seit der Antike bekannt waren, konnen die kopemikanischen<br />

Vorhersagen allgemeiner Merkmale der Planetenbewegung nicht in dem<br />

von uns definierten Sinn <strong>als</strong> neuartig bezeichnet werden. Die Beobachtung von<br />

Fixstemparallaxen ist wahrscheinlich die erste Bestatigung der kopemikanischen<br />

Theorie durch die Erfullung einer Vorhersage, die in dem beschriebenen Sinne <strong>als</strong><br />

neuartig gelten kann. Aber auch dies trifft Lakatos' Absicht nicht, weil die erste<br />

Messung einer Sternparallaxe erst im 19. Jahrhundert stattfand^, <strong>als</strong> die Uberlegenheit<br />

des kopemikanischen uber das ptolemaische System wissenschaftlich<br />

langst akzeptiert war.<br />

Leicht konnen andere Beispiele gefunden werden. Bine der wenigen Beobachtungen,<br />

die zur Stutzung der Allgemeinen Relativitatstheorie Einsteins herangezogen<br />

werden konnte, war die Perihelverschiebung des Planeten Merkur, ein<br />

Phanomen, das lange vor seiner vollstandigen Erklarung durch Einsteins Theorie<br />

bekannt war.^^ Eine der beeindruckendsten Leistungen der Quantenmechanik war,<br />

dass sie die Spektren erklaren konnte, die das von Gasen ausgesandte Licht aufweist.<br />

Auch dieses Phanomen war Experimentatoren bereits mehr <strong>als</strong> ein halbes<br />

Jahrhundert vor seiner quantenmechanischen Erklarung bekannt. Diese Erfolge<br />

konnen eher <strong>als</strong> neuartige Vorhersagen von Phanomenen beschrieben werden,<br />

denn <strong>als</strong> Vorhersagen von neuartigen Phanomenen.<br />

Vor dem Hintergmnd einiger Erwagungen Zahars (1973) erkannte Lakatos,<br />

dass der Stellenwert neuartiger Vorhersagen fiir die urspriingliche Fassung der<br />

Methodologie von Forschungsprogrammen modifiziert werden musste. Soil beurteilt<br />

werden, in welchem Umfang beobachtete Phanomene eine Theorie oder ein<br />

Programm stutzen, ist es sicher eine historisch kontingente Tatsache ohne philosophische<br />

Relevanz, ob zuerst die Theorie zu diesem Phanomen oder das Wissen<br />

dariiber existiert. Einsteins Relativitatstheorie kann die Umlaufbahn des Merkurs<br />

ebenso erklaren wie die Krummung des Lichts in einem Gravitationsfeld. Dies<br />

sind beides bemerkenswerte Erfolge, die die Theorie unterstutzen. Die Prazession<br />

des Perihels der Umlaufbahn vom Merkur war bereits vor Einsteins Theorieent-<br />

^ Durch Friedrich Wilhelm Bessel im Jahre 1883 (Anm. d. Hrsg.)<br />

^^ Der groBte Anteil der Periheldrehung des Merkurs beruht auf Storungen durch die anderen Planeten<br />

und konnte vor Einstein durch die klassische Mechanik erklart werden. Es verblieb jedoch ein kleiner<br />

Rest von 43" pro Jahrhundert; die Allgemeine Relativitatstheorie erklart diesen Uberschuss. (Anm. d.<br />

Hrsg.)

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