Oder: Welchen Mehrwert hat die Mehrsprachig - IMIS - Universität ...
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Literalität im Arabischen in Aus- und Einwanderungskontexten<br />
enthält eine rhetorische Frage: Kann der Koran gleichzeitig Arabisch und<br />
Barbarisch sein? Antwort: Nur in seiner konkreten sprachlichen Form als<br />
arabischer Koran kann er den Menschen, <strong>die</strong> glauben, Rechtleitung und Trost<br />
sein.<br />
Hinter <strong>die</strong>ser rhetorischen Frage steckt ein tatsächliches Paradox, das<br />
sich für <strong>die</strong> heutigen arabophonen Leser des Korans stellt; denn dem klassischen<br />
Arabisch als der einzigen prestigeträchtigen Sprachform steht eine<br />
Vielfalt von Varietäten <strong>die</strong>ser Sprache gegenüber, <strong>die</strong> im Selbsturteil der<br />
meisten ihrer Sprecher nur als korrumpierte dialektale Formen gelten. Die<br />
›hohe‹ Varietät des Arabischen ist durch einen großen Abstand zum gesprochenen<br />
marokkanischen Arabisch gekennzeichnet; in geschriebener Form<br />
wird sie als einzige akzeptiert. In ihrer religiösen und rituellen Funktion als<br />
heilige Sprache benutzt sie jeder Erwachsene, auch als Analphabet, beim Gebet<br />
und in vielen alltäglichen Redewendungen. Weltlicher Gebrauch des<br />
modernen Standardarabisch ist dagegen auf bestimmte Bereiche der Öffentlichkeit<br />
und bestimmte Berufsgruppen begrenzt.<br />
Das Paradox, dass arabische Muslime als Sprecher einer neuarabischen<br />
Varietät (L-Varietät) 15 erst durch langjährigen Schulbesuch ausreichende<br />
Kompetenz im Hocharabischen (der H-Varietät) gewinnen, also eine Sprache<br />
nur mit großer Anstrengung richtig sprechen und schreiben können, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
einzig verständliche Sprache der Welt sein soll, ist keineswegs trivial: Nicht<br />
entschieden ist damit <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong> Überwindung <strong>die</strong>ses Paradoxons eine<br />
notwendige Voraussetzung dafür ist, um an den Diskursen und Debatten<br />
einer säkularisierten Gesellschaft teilzuhaben, in denen eine selbstreflexive<br />
Beziehung zu den eigenen religiösen Traditionen einen unverzichtbaren ersten<br />
Schritt zum Dialog 16 darstellt. Dass sprachliche Mythologien bei der<br />
Auseinandersetzung um Literalität, <strong>Mehrsprachig</strong>keit und Religion auch in<br />
der Gegenwart eine Rolle spielen, gilt nicht nur für außereuropäische Gesellschaften,<br />
denn vergessen wir nicht, dass auch <strong>die</strong> europäische Sprachwissenschaft<br />
bis ins 20. Jahrhundert von ähnlichen Mythen durchzogen ist. 17<br />
15 Der auch von vielen Arabisten gebrauchte Ausdruck ›Dialekt‹ als Bezeichnung für<br />
<strong>die</strong> gegenwärtigen arabischen Umgangssprachen in den verschiedenen arabischen<br />
Ländern ist insofern irreführend, als er eine kleinräumige regionale und soziale Differenzierung<br />
unterstellt, <strong>die</strong> bei den großen neuarabischen Varietäten gerade nicht<br />
(mehr) gegeben ist.<br />
16 Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a.M. 1989.<br />
17 Maurice Olender, Les Langues du Paradis. Aryens et Sémites: un couple providentiel,<br />
Paris 1989.<br />
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