Im Zwielicht der Zeit - Buch ist mehr - Verlag 3.0
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drangen ab und zu Geräusche herein: Rufe,<br />
Hundegebell, Kin<strong>der</strong>stimmen, das Rumpeln <strong>der</strong><br />
Straßenbahn, die vorüberfuhr. Die beiden Frauen<br />
schwiegen, jede hing ihren Gedanken nach.<br />
Da wurde plötzlich die Tür geöffnet. Gertrud schrak<br />
zusammen und blickte auf. Ihr Vater stand im<br />
Türrahmen. Seine große Gestalt schien die ganze<br />
Öffnung auszufüllen. Er hielt einen Brief in <strong>der</strong> Hand.<br />
»Paul hat geschrieben«, sagte er mit ruhiger Stimme.<br />
»Oh, Vater, wie schön!« Gertrud ließ den Strumpf<br />
fallen, den sie gerade stopfte, und wollte vor Freude<br />
aufspringen, doch ein Blick in das ernste Gesicht des<br />
Vaters hielt sie zurück. »Was <strong>ist</strong>?« Ängstlich sah sie ihn<br />
an.<br />
»Paul <strong>ist</strong> schwer verwundet, aber es geht ihm schon<br />
besser«, sagte Oertel mit belegter Stimme. Dann las er<br />
vor: »Lieber Vater, liebe Gertrud! Ihr habt lange nichts<br />
von mir gehört. Aber ich konnte nicht schreiben, denn<br />
ich bin schwer verwundet. Ich habe einen<br />
Lungendurchschuss. Doch inzwischen geht es mir<br />
besser, und ich hoffe, dass ich in ungefähr zwei Wochen<br />
aus dem Lazarett entlassen werde. Wie freue ich mich<br />
auf zu Hause!«<br />
Oertel ließ den Brief sinken. Sein Gesicht hatte jetzt<br />
einen ungewohnt weichen Ausdruck. Gertrud schien es,<br />
als sei alle Strenge daraus verschwunden. Sie selbst<br />
hatte Tränen in den Augen, Tränen <strong>der</strong> Freude, des<br />
Mitleids und <strong>der</strong> Sorge. »Paul kommt nach Hause, dem<br />
Himmel sei Dank!« rief sie aus. »Er wird wie<strong>der</strong> gesund<br />
werden, Vater. Die Hauptsache <strong>ist</strong> doch, dass er lebt.«<br />
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