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Im Zwielicht der Zeit - Buch ist mehr - Verlag 3.0

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Freitag, den 15. November 1918,<br />

spätnachmittags<br />

E<br />

s <strong>ist</strong> so lange her, dass ich etwas in mein<br />

Tagebuch geschrieben habe. Aber worüber hätte ich<br />

auch schreiben sollen? Über den Hunger? Die<br />

Steckrüben, die es täglich als Gemüse, Suppe o<strong>der</strong><br />

Fleischersatz gab? Über die Kälte im Winter, weil wir<br />

nicht genug zum Heizen hatten? Über die sich ständig<br />

wie<strong>der</strong>holende alltägliche Misere? Dazu hat mir jede<br />

Lust gefehlt. Wir hatten alle nur noch die Kraft, das<br />

unbedingt Notwendige zu tun. Es war ein mühsames<br />

Sichhinschleppen von Tag zu Tag.<br />

Vater <strong>ist</strong> alt geworden. Sein Haar und sein Bart sind<br />

ganz grau, und er <strong>ist</strong> abgemagert. Seit Mutters Tod hat<br />

er schon nicht viel gelacht, jetzt lacht er überhaupt nicht<br />

<strong>mehr</strong>.<br />

Paul <strong>ist</strong> nach Göttingen gegangen, um Theologie zu<br />

studieren. Ich glaube, das bedrückt ihn noch zusätzlich.<br />

Er hofft wohl immer noch, dass sein Sohn sich eines<br />

Tages besinnt und doch ein naturwissenschaftliches<br />

Studium aufnimmt.<br />

Vaters schwermütige Stimmung hat auch mich<br />

traurig gemacht, sodass ich mich oft zu gar nichts<br />

aufraffen konnte, noch nicht einmal zum Klavierspielen.<br />

Aber heute musste ich mein Tagebuch wie<strong>der</strong><br />

hervorholen. In den letzten Tagen <strong>ist</strong> so viel passiert.<br />

Der Krieg <strong>ist</strong> aus! Endlich!! Ich sollte mich freuen. Wir<br />

sollten uns alle freuen und jubeln! Dennoch <strong>ist</strong> die<br />

Stimmung überall gedämpft. Je<strong>der</strong> <strong>ist</strong> zwar glücklich,<br />

dass nicht <strong>mehr</strong> geschossen wird und dass die Soldaten<br />

– die, die noch am Leben sind – wie<strong>der</strong> nach Hause<br />

kommen. Aber wie sieht es hier aus?<br />

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